Der Infektionszahlen stagnieren auf hohem Niveau - obwohl es zuletzt keine neuen politischen Beschlüsse gab. Einer der möglichen Gründe: Die Menschen sind vorsichtiger geworden.
Der Anstieg der Infektionszahlen zur dritten Welle begann Mitte Februar. Damals lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland noch bei 60. Abgesehen von einer Delle an Ostern, als weniger getestet wurde, stiegen die Zahlen danach schnell immer weiter an. Doch seit etwa einer Woche ist damit Schluss. Das exponentielle Wachstum: aus und vorbei.
Wie kam es dazu? Obwohl es seit dem Bund-Länder-Gipfel Ende März keine neuen politischen Entscheidungen zu Maßnahmen mehr gab und obwohl das Robert-Koch-Institut (RKI) für die Zeit nach Ostern deutlich höhere Zahlen prognostizierte?
RKI berechnete Inzidenz von über 300 nach Ostern
In seinem Situationsbericht vom 12. März hatte das RKI noch erklärt, "dass mit Fallzahlen über dem Niveau von Weihnachten ab KW 14 zu rechnen" sei. Die Kalenderwoche 14 begann am Ostermontag, für die darauffolgende Woche berechnete das RKI eine Inzidenz von über 300. Tatsächlich war die Inzidenz zu diesem Zeitpunkt dann nicht einmal halb so hoch.
Wie kam es zu dieser Fehleinschätzung? Auf Anfrage von ZDFheute heißt es vom RKI, man habe einen Trend "über acht Wochen stabil beobachtet": Nämlich, wie sich die Zahl der bekannt gewordenen Infektionen mit der britischen Mutante B.1.1.7 entwickelte. Die Fallzahlen hätten sich seit Anfang des Jahres etwa alle zwölf Tage verdoppelt. Diesen Trend habe man dann "in die Zukunft fortgeschrieben". Warum es dann doch anders gekommen ist, wisse man nicht genau, es sei dem RKI darum gegangen, "eindringlich davor zu warnen", dass sich B.1.1.7 exponentiell verbreite.
Experte: Osterferien haben Infektionsgeschehen "abgekühlt"
In einer Mail an ZDFheute zitiert das RKI den Statistiker Matthias an der Heiden, der an der Hochrechnung beteiligt war. Die Gründe für die nun tatsächlich stagnierenden Infektionszahlen könnten sein:
- geschlossene Betriebe und Schulen und dadurch eingeschränkte Mobilität der Menschen über Ostern
- Verhaltensanpassung der Bevölkerung
Ähnlich sieht es auch der Pharmazie-Professor Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes, der ebenfalls versucht, mit Computermodellen die Infektionszahlen vorauszuberechnen. Auch er kann die derzeit relativ stabilen Infektionszahlen nicht eindeutig erklären. "Da kommen vermutlich mehrere Effekte zusammen", so Lehr. "Die Osterferien haben das Infektionsgeschehen vermutlich ein wenig abgekühlt. Und im Frühling finden mehr Aktivitäten draußen statt, wo das Infektionsrisiko geringer ist." Außerdem habe man bereits früher gesehen:
Das sei auch ein psychologisches Phänomen: "Dass manche Maßnahmen sogar schon wirken, obwohl sie noch gar nicht in Kraft getreten sind."
Bund-Länder-Beschlüsse wirken offenbar doch
Und schließlich seien in vielen Bundesländern ja auch die in der Bund-Länder-Konferenz verabredeten Maßnahmen umgesetzt worden: Schulen, Kitas und Geschäfte mussten vielerorts schließen, als die Inzidenzen stiegen.
"In Sachsen und Thüringen sieht man relativ starke Effekte", erklärt Lehr. Dort waren besonders strenge Corona-Regeln beschlossen worden, in Sachsen sogar verpflichtende Corona-Tests in Unternehmen. "Selbst bei uns im Saarland darf man nur noch mit Schnelltests in Geschäfte, aber viele Läden sind fast menschenleer".
Niveau der Infektionszahlen ist hoch
Auch, wenn das exponentielle Wachstum nun gestoppt ist, bewegen sich die Infektionszahlen auf hohem Niveau. Allein am Donnerstag kamen nach Zahlen des RKI fast 30.000 neue Coronafälle dazu, die Lage in den Kliniken ist weiter extrem angespannt. Intensivstationen gerieten an ihre Kapazitätsgrenzen, warnte gestern erneut die Ärztegewerkschaft Marbuger Bund.
Immerhin ein Hoffnungsschimmer: Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert sank laut RKI-Lagebericht auf 0,94. Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 94 weitere Menschen anstecken. Liegt der Wert dauerhaft bei unter eins, flaut das Infektionsgeschehen ab.