Ein von Impfgegnern im Internet massenhaft geteilter Artikel behauptet, Geimpfte könnten dauerhaft weniger Antikörper produzieren. Experten entlarven das als blanken Unsinn.
Die Überschrift klingt alarmistisch: "Geimpfte können wahrscheinlich nie wieder volle Immunität erreichen", heißt es in einem tausendfach bei Facebook und Twitter geteilten Artikel des Magazins "The European" (hier eine archivierte Version des Beitrags). Eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus würde also das Immunsystem dauerhaft beeinträchtigen, so die Behauptung.
Begründet wird das mit einer Antikörper-Studie unter Blutspendern aus Großbritannien. Die Daten wurden im Oktober in einem Bericht der britischen Gesundheitsbehörde veröffentlicht. Darin heißt es, dass bestimmte Antikörper - die sogenannten N-Antikörper - "bei Personen, die sich nach zwei Impfdosen infizieren, niedriger zu sein scheinen". Damit habe die Behörde "eingeräumt", dass Geimpfte "dauerhaft weniger Antikörper haben".
Dies bedeute, so die Schlussfolgerung des Artikels, dass "der Impfstoff die körpereigene Fähigkeit beeinträchtigt, nach der Infektion Antikörper (...) zu produzieren."
Immunologin widerlegt die Behauptungen
Das Urteil der Immunologin Christine Falk über den Artikel ist eindeutig:
"Die Werte sind mehr ein Beleg dafür, dass die Impfung wie geplant wirkt", so Falk. Zur Erklärung: Bei Corona-Impfungen wird gegen das Spike-Protein geimpft, also den Virus-Bestandteil, womit es an die Zellen im Körper andockt. Daraufhin produziert das Immunsystem sogenannte S-Antikörper, die dem Virus gezielt die Fähigkeit nehmen, sich an Zellen zu binden.
Kommt es zu einer Infektion mit dem Coronavirus, produziert das Immunsystem außer den S-Antikörpern auch noch sogenannte N-Antikörper. Doch Geimpfte, die bereits mit den S-Antikörpern gegen das Virus ankämpfen benötigen diese N-Antikörper gar nicht mehr im gleichen Umfang: N-Antikörper müssen also nicht so stark ausgeprägt sein, so Falk.
Virologe: Theorie aus dem "Reich der Fabeln"
"Das Immunsystem ist schon trainiert und muss daher weniger Aktivität gegen das Virus entwickeln als bei einem Ungeimpften, dessen Immunsystem das Virus zum ersten Mal 'sieht'", erklärt auch der Virologe Martin Stürmer auf Anfrage von ZDFheute.
Der Artikel in "The European" geht aber noch einen Schritt weiter - und kommt zu einem potenziell gefährlichen Schluss: Nicht-Geimpfte würden nach einer natürlichen Infektion mit dem Coronavirus eine "permanente Immunität gegen alle Stämme des angeblichen Virus erlangen", heißt es. Leser könnten das also nicht nur als Argument verstehen, sich nicht impfen zu lassen, sondern darüber hinaus auch, sich selbst und andere dem Virus bewusst auszusetzen - was in einigen Kommentaren so auch schon zu lesen ist.
Dass eine Infektion dauerhaft gegen alle Varianten immun mache, gehört "ins Reich der Fabeln", wie es Stürmer formuliert: Auch nach einer durchgemachten Corona-Infektion können sich Menschen erneut anstecken, insbesondere mit einer anderen Variante.
Twitter geht gegen Artikel vor
"Gamma in Brasilien hat zum Beispiel sehr deutlich gezeigt, wie effektiv eine Re-Infektion durch eine neue Variante sein kann", so Stürmer. Auch viele der in Südafrika an Omikron erkrankten Menschen hatten zuvor eine Infektion mit einer anderen Variante durchgemacht.
Die Plattform Twitter geht inzwischen aktiv gegen die Verbreitung des Artikels vor. Ein mit Tausenden Likes und Retweets versehener Beitrag eines Influencers wurde mit dem Hinweis "irreführend" versehen. Alle Likes und Retweets wurden vom Unternehmen gelöscht. An anderen Orten im Netz verbreitet sich der Text jedoch munter weiter.
- Antikörper nicht einzige Waffe des Körpers
Von Killerzellen und anderen Helfern: Das Immunsystem setzt beim Kampf gegen Virus-Infektionen auf diverse Schutz-Mechanismen. So funktionieren sie bei der Omikron-Variante.