"Lügenpresse"-Rufe vor der Redaktion, eine angespannte Atmosphäre bei den Demos. Wie eine Lokaljournalistin im sächsischen Freiberg ihre Arbeit zu den Corona-Protesten wahrnimmt.
Freiberg ist zu einem Corona-Protestzentrum in Sachsen geworden. Seit Wochen kommen hunderte zu sogenannten Spaziergängen zusammen, die eigentlich illegale Demos sind. Mittendrin steht die Lokalreporterin Grit Baldauf, die die Proteste von Anfang an begleitet hat. Sie arbeitet in der Redaktion der "Freien Presse" in Freiberg.
ZDFheute: Kurzer Rückblick: Wie war das Corona-Demo-Jahr in Freiberg?
Baldauf: In den Sommermonaten, bis in den Herbst hinein, waren es eher stille Spaziergänge, die von der Polizei begleitet, geduldet und beobachtet wurden. Insbesondere seit den Beschränkungen auf ortsfeste angemeldete Veranstaltungen mit bis zu zehn Teilnehmern kommt es zum Teil verstärkt zu Konfrontationen, in denen sich Demonstranten und Polizisten gegenüberstehen - das hat oft nichts mehr mit stillen Spaziergängen zu tun.
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ZDFheute: Und Sie als Pressevertreterin stehen mittendrin. Fühlten Sie sich schon bedroht?
Baldauf: Auf den Demos sind wir Beobachter. Es geht nicht darum, in der Mitte eines Polizeikessels zu stehen. Wir bleiben meist in der Nähe der Polizeisprecher, die ein System entwickelt haben, wie sie Journalisten informieren und gegebenenfalls auch schützen können.
- Wer die Corona-Proteste in Sachsen anheizt
In ganz Sachsen gehen Menschen gegen die Corona-Politik auf die Straße, mobilisiert von den rechtsextremen "Freien Sachsen". Wer ist die Partei? Und gegen wen stachelt sie auf?
ZDFheute: Immer wieder gibt es bei Corona-Demos Übergriffe auf die Presse. Haben Sie in Ihrer Redaktion Erfahrungen damit?
Baldauf: Als Lokalredakteure sind wir natürlich in der Stadt bekannt. Wir werden auf unsere Berichterstattung angesprochen, wenn uns Leute erkennen. Im Dezember stand lange nicht fest, ob Weihnachtsmärkte in Sachsen und im Erzgebirge stattfinden können, die Staatsregierung wurde für ihren Zickzackkurs in jener Zeit stark kritisiert.
Damals wurde eine Kollegin am Rande eines Spaziergangs in eine ziemlich harsche Diskussion verwickelt. Es ging um Grundsatzfragen zur Coronapolitik, für die mancher Teilnehmer den verantwortlich macht, auf den er trifft: In dem Fall Presseleute. Polizisten werden auch oft angesprochen und sollen sich für gegenwärtige Schutzmaßnahmen rechtfertigen. Mal laut und mal leise.
Solche verbalen Diskussionen ist man von anderen Demos gewohnt. Emotionen muss man wegdrücken.
Im Ernstfall müssten wir aber auch richtig einschätzen, wenn eine Situation nicht gut wäre und uns dann zurückziehen, das ist völlig klar.
- DJV kritisiert "Lügenpresse"-Rufe
Gegner von Corona-Maßnahmen haben am Montagabend vor dem ZDF-Studio in Berlin protestiert. Sie riefen Parolen wie "Lügenpresse". Kritik kommt vom Deutschen Journalistenverband.
ZDFheute: Vor dem ZDF-Hauptstadtbüro gab es am Montag Demonstrierende, die 'Lügenpresse' gerufen haben. Auf einigen Drehs lassen wir uns von Sicherheitspersonal begleiten. Haben Sie schon über Personenschutz nachgedacht?
Baldauf: Aktuell ist das kein Thema. Ich würde es aber nicht ausschließen.
Das war am Rande von sogenannten Spaziergängen, die teils den Charakter von Aufzügen haben, und eine neue Erfahrung. Als Kollegen haben wir uns danach darüber ausgetauscht, was das für uns bedeutet, wie der Austausch für Journalisten allgemein wichtig ist. Wir werten Erlebtes vor Ort auch mit der Chefredaktion aus.
ZDFheute: In Freiberg ist die AfD stärkste Kraft im Stadtrat. Ihr jetziger Baubürgermeister von der CDU hatte 2017 offen für eine Koalition mit der AfD geworben. Vor Kurzem hat ebenjener Baubürgermeister den Umgang mit Ungeimpften mit dem Genozid an den Armeniern verglichen. Inwiefern beeinflusst das politische Klima in Freiberg das gesellschaftliche in der Stadt und auch die Proteste?
Baldauf: Aus dem Stadtrat hat man über viele Wochen und Monate zu wenige Reaktionen zu den lauter werdenden Spaziergängen gehört. Oberbürgermeister Sven Krüger hat sich erst im November, Dezember dazu geäußert und angesichts der hohen Inzidenz dazu aufgerufen, nicht mehr zu diesen 'Spaziergängen' zu gehen und sich auch impfen zu lassen. Etwa zur selben Zeit hat das Bündnis 'Freiberg für alle' aus der Stadtgesellschaft einen Brief veröffentlicht, in dem ein Ende der Proteste gefordert wird.
Wir hatten also lange Zeit ein großes Schweigen der Mehrheit der Freiberger und zugleich eine große Aufmerksamkeit für lauter werdende "Montagsspaziergänge", die wiederum weitere Teilnehmer angezogen haben - und eine Politisierung durch Bewegungen wie die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Kleinstpartei Freie Sachsen.
Das Interview führte ZDFheute-Redakteurin Julia Klaus.
FAQ- Was gilt rechtlich für Corona-"Spaziergänge"?
Gegner der Corona-Maßnahmen gehen immer öfter zu sogenannten "Spaziergängen" auf die Straße. Sind diese durch die Versammlungsfreiheit geschützt?
von Christoph Schneider