Deutschland setzt im Kampf gegen die Corona-Pandemie jetzt auch verstärkt auf Genom-Sequenzierungen. Damit sollen Mutationen und Infektionsketten besser erkannt werden.
Der "Porsche" sieht unscheinbar aus. Ein eckiger Kasten, der leise vor sich hin blinkt. Das Sequenziergerät im Labor von Bioscientia in Ingelheim aber hat es in sich. Es kann viel schneller rechnen als das Gerät, das am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main zur Verfügung steht.
Experten: Sequenzierung dringend notwendig
Die dort forschende Virologin Professor Sandra Ciesek vergleicht die Rechenleistung sehr anschaulich mit Porsche und Fahrrad: "Es dauert bei uns eine Woche, bis wir sequenziert haben, und das geht in Großlaboren schneller, in ungefähr drei bis vier Tagen."
Die Großlabore sind wichtig, um in Zukunft das Genom von fünf bis zehn Prozent aller positiven Sars-CoV-2-Proben in Deutschland zu sequenzieren. Dieses Ziel hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am 18. Januar in eine Verordnung geschrieben.
Eine längst überfällige Maßnahme in den Augen vieler Virolog*innen. "Wir hinken der Sache hinterher", sagt Professor Ralf Bartenschlager. Und mahnt: "Wir müssen dringend aufrüsten."
Andere Länder sind weiter
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Virologie stellt eindrückliche Zahlen gegenüber: In England und Dänemark werde jede zehnte positive Sars-CoV-2-Probe sequenziert. In Deutschland bisher nur etwa jede tausendste. Viel zu wenig, sagt Bartenschlager, um bedrohliche Mutanten des Virus rechtzeitig zu erkennen.
Die Genom-Sequenzierung ermöglicht es, mutierte Viren aufzuspüren. Dafür werden positiv auf Sars-CoV-2 getestete Proben neu untersucht. Nur wenige Labore in Deutschland können das. Bioscientia ist eines davon. Das Unternehmen hat die Geräte und Spezialist*innen dafür.
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Genaue Bestimmung des Virustyps
Mit dem Sequenzieren des Genoms, also des Erbguts des Virus, finden sie heraus, ob der Wildtyp oder eine mutierte Variante in einer positiven Probe steckt. "Das Covid-Virus hat 30.000 Nukleotide", erklärt Geschäftsführer Oliver Harzer, "und die werden nacheinander ausgelesen wie einzelne Buchstaben in einem Text in einem Buch." Auf diese Weise wird jede einzelne Mutation des Virus sichtbar.
Das Verfahren ist aufwändig und kostspielig, selbst dann, wenn die Geräte schon vorhanden sind. Die Virusproben müssen speziell aufbereitet werden, mit teuren Reagenzien, teilweise von Hand. Auch die bioinformatische Auswertung der Daten erfordert Fachpersonal und Arbeitszeit.
Bund stellt Mittel zur Verfügung
Das Bundesgesundheitsministerium stellt nun aber Geld zur Verfügung: Pro Sequenzierung erhalten die Labore 220 Euro. Mit dieser Vergütung, so rechnet Harzer, wird Bioscientia einen kleinen Gewinn erzielen können - durch die schiere Menge an Sequenzierungen.
Das Unternehmen plant, in seinem Labor in Ingelheim 1.000 bis 1.500 Sequenzierungen pro Woche durchzuführen. Dafür bekommen sie positive Sars-CoV-2-Proben aus dem ganzen Bundesgebiet zugeschickt. Nach welchen Kriterien die Proben ausgesucht werden, legt das Robert-Koch-Institut (RKI) fest.
Zentrale Auswertung beim RKI
Die verstärkte Genomsequenzierung beginnt ab sofort. Anlass ist die Sorge über die mutierten Coronaviren, die zuerst in Großbritannien, Südafrika und Brasilien aufgefallen sind und sich dort rasant ausgebreitet haben. Mittlerweile sind alle drei Mutanten auch bei uns nachgewiesen.
Gesundheitsminister Spahn will nun herausfinden, wie stark sie schon verbreitet sind und ob sich weitere gefährliche Mutationen entwickeln. Zudem sollen mit mehr Sequenzdaten Infektionsketten besser erkannt werden. Dafür müssen die beteiligten Labore die Daten an das RKI übermitteln. Das RKI wird sie selbst auswerten und darüber berichten.
Zudem sollen die Daten auf internationalen Plattformen zugänglich gemacht werden. Forscher*innen brauchen sie dringend, um zu erkennen, wie sich Sars-CoV-2 entwickelt, seine Eigenschaften und Funktionen verändert und so möglicherweise noch gefährlicher wird. Erkenntnisse, die notwendig sind, um die Pandemie besser zu bekämpfen.
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