Im letzten Jahr ist die Grippewelle nahezu komplett ausgeblieben. Einige Experten befürchten daher in dieser Saison sehr viel mehr Infektionen. Sicher ist das allerdings nicht.
Im vergangenen Jahr sind nur wenige Menschen an Grippe erkrankt. In Deutschland wurden in der Saison 2020/21 lediglich 564 Fälle von Influenza registriert. Zum Vergleich: 2019/20 waren es noch 186.919 Fälle, in der Saison 2017/18 sogar 333.567 Infektionen.
Hauptgrund für die ausgebliebene Grippewelle waren die umfassenden Corona-Hygieneregeln. Für diesen Winter rechnen Experten nun mit einer deutlich höheren Zahl an Grippe-Erkrankungen. Auch, weil sie letztes Jahr nahezu ausgeblieben sind. "Nach einer sehr schweren Grippewelle fällt die nächste Saison meist sehr viel milder aus, weil sehr viele Menschen schon mit den Viren in Berührung gekommen sind. Nun haben wir die gegenteilige Variante", sagte der Infektiologe Christoph Spinner bei ZDFheute live:
Wieso könnte die Grippesaison diesen Winter heftiger werden?
Das sehen andere Experten ähnlich: "Es gibt zwei Faktoren, die nahelegen, dass die Grippe-Saison heftiger wird als in den letzten Jahren", erklärt der Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin Prof. Dr. Klaus Wahle gegenüber ZDFheute. Er ist Sprecher des Projekts Grippeschutz, einer Initiative von Infektionsschutz-Expert*innen mit dem Ziel, die Grippe-Immunisierung in Deutschland zu verbessern. Von 2004 bis 2011 war er Mitglied der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut.
Zum einen könnte durch das Ausbleiben der Welle im letzten Winter eine sogenannte "Immunitätslücke" entstanden sein. Die Immunität gegen Influenza-Viren entsteht, wenn wir uns jährlich infizieren oder impfen. Da es 2020/21 kaum Infektionen gab, ist die Grundimmunität in der Bevölkerung möglicherweise geringer.
Zum anderen ist nicht sicher, ob die Grippe-Impfstoffe in dieser Saison ideal gegen die Viren wirken. In der Regel beobachtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Verbreitung von Influenzaviren im jeweils anderen Teil der Welt, um die Zusammensetzung des Impfstoffs zu planen. Für Europa wird also die Entwicklung in der südlichen Hemisphäre untersucht. Da die Grippe aber weltweit kaum ausgeprägt war, könnte es ein sogenanntes "missmatch" geben, das heißt, die Impfung schützt vor Virenstämmen, die gar nicht in allzu großer Zahl zirkulieren.
Hat die Grippe-Welle schon begonnen?
Für Deutschland ist das im Robert-Koch-Institut angesiedelte nationale Referenzzentrum für Influenzaviren das von der WHO anerkannte Labor zur Überwachung der Influenza-Situation. Insgesamt gibt es weltweit in 123 WHO-Mitgliedsstaaten solche Labore (rund 150 insgesamt). Dort werden Proben von Erkrankten untersucht, um die Virustypen zu bestimmen, die zur Infektion geführt haben. Aktuell werden weltweit noch sehr wenige Fälle von Grippe-Infektionen gefunden.
Silke Buda ist eine der Influenza-Expert*innen des Robert-Koch-Instituts. Für sie ist es noch nicht klar absehbar, wie sich die Grippe-Saison entwickeln wird.
Aktuell macht die Grippe nur 0,5 Prozent der beim RKI registrierten Atemwegserkrankuneg aus. Ob das so bleibt, werden die kommenden Wochen zeigen, so Buda:
Ähnlich sieht es auch Dr. Klaus Wahle: "Eins ist klar: die nächste Influenza kommt. Wir können aber aktuell nur vermuten, dass sie stärker wird." Mit Blick auf die Grippe-Impfung fügt er noch hinzu:
Wer sollte sich besonders gegen die Grippe schützen?
Für die meisten gesunden Menschen ist eine Grippeinfektion nicht lebensbedrohlich. Für ältere Menschen und Personen mit anderen Erkrankungen kann sie aber zur Gefahr werden. So starben in der besonders schweren Grippewelle 2017/18 geschätzt 25.100 Menschen in Deutschland durch Influenza. Eine Grippe-Impfung wird daher von der Ständigen Impfkommission (STIKO) für folgende Gruppen empfohlen:
- Für alle Personen ab 60 Jahren,
- für alle Schwangeren ab dem 4. Monat der Schwangerschaft, bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens ab Beginn der Schwangerschaft,
- für Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung durch etwa chronische Krankheiten der Atmungsorgane, Herz- oder Kreislaufkrankheiten, Leber- oder Nierenkrankheiten, Diabetes oder andere Stoffwechselkrankheiten,
- für Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen sowie für
- Personen, die als mögliche Infektionsquelle im selben Haushalt lebende oder von ihnen betreute Risikopersonen gefährden können.
Christoph Spinner meint:
In der Geschichte suchten Seuchen meist ohne Vorwarnung die Menschheit heim - darunter Grippe, Pest und Cholera, Ebola und AIDS. ZDF-History erzählt die Geschichte der großen Seuchen.
Gibt es genug Grippe-Impfstoff?
Aktuell gibt es eine hohe Nachfrage nach Grippeschutz-Impfungen "Erste Arztpraxen melden, dass sie keine Grippe-Impfstoffe mehr haben", sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein, der Zeitung "Rheinische Post". Das sei aber eigentlich ein gutes Zeichen:
Es bestehe keinen Grund zur Sorge. Der Verband gehe davon aus, dass die Produktionskapazitäten der Hersteller in dieser Saison vollkommen ausreichend sind.
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