Homöopathie ist in Deutschland beliebt. Experten sehen darin einen Grund für niedrige Impfquoten. Trotzdem wollen die meisten Krankenkassen weiter für die Alternativmedizin zahlen.
Die Impfquote gegen das Coronavirus in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist niedriger als in vergleichbaren Industrieländern. Eine Gemeinsamkeit aller drei Staaten ist eine relativ große Verbreitung alternativer Heilmethoden, insbesondere der Homöopathie.
Homöopathie ist eine wissenschaftlich unbelegte Theorie, nach der Krankheiten durch stark verdünnte Mittel geheilt werden können, die in höherer Konzentration ähnliche Symptome wie die Krankheit auslösen. Diese Verdünnung ist üblicherweise so stark, dass gar keine Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus nachweisbar ist. Dennoch können Produkte wie Globuli-Zuckerkügelchen in Apotheken gekauft werden und gesetzliche Krankenkassen zahlen für viele homöopathische Mittel und Beratungsleistungen.
Forschung: Homöopathie und Impfskepsis verknüpft?
Experten sehen einen Zusammenhang zwischen Homöopathie-Glauben und Impfskepsis. In einer Studie des Regensburg Center of Health Science and Technology sprachen sich 62,4 Prozent der befragten Homöopathie-Anhänger gegen eine Covid-19-Schutzimpfung aus. Unter Befragten, die Homöopathie ablehnten, waren 64 Prozent für die Impfung.
Wie kann man die Impfansprache verbessern, wie Impfgegner überzeugen und was ist dran an Nebenwirkungen durchs Impfen und den Argumenten der Impfgegner? Darüber spricht u.a. Mediziner Dr. Christoph Specht.
Die Anthropologin Heidi Larson leitet das "Vaccine Confidence Project" an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. "In Europa haben wir eine Zunahme an alternativen Behandlungsmethoden wie Naturheilkunde und Homöopathie beobachtet. (…) Die Menschheit scheint sich in Wellen wissenschaftlich weiterzuentwickeln, um dann wieder zu Urinstinkten zurückzukehren", sagte Larson dem Wissenschaftsportal "Horizon". "Das kann bedeuten, Wissenschaft und Medizin abzulehnen und Natur und Religion zu bevorzugen."
Krankenkassen erstatten freiwillig Homöopathie-Leistungen
Dass gesetzliche Krankenkassen für homöopathische Leistungen zahlen, ist fast immer ein freiwilliges Zusatzangebot. Nur bei Kindern unter zwölf Jahren ist die Kostenübernahme gesetzlich vorgeschrieben. Rund 20 Millionen Euro machte die Homöopathie-Kostenerstattung im Jahr 2019 aus - ein winziger Anteil am milliardenschweren Finanzvolumen der Krankenkassen, für den aber dennoch jeder Beitragszahler gleichermaßen aufkommt.
Gegenüber ZDFheute betonen zahlreiche Kassen, dass sie ausschließlich mit Vertragsärzten mit homöopathischer Zusatzausbildung kooperierten. Heilpraktiker ohne reguläre ärztliche Ausbildung blieben außen vor. Partnerverband der Kassen ist der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte. Auf mehrfache Anfrage von ZDFheute reagierte er nicht.
Die Ärztin und Homöopathie-Gegnerin Natalie Grams-Nobmann kritisiert die Zusammenarbeit seit Jahren. "Nicht die finanzielle Unterstützung der Krankenkasse ist das Problem, sondern die Signalwirkung", sagt sie ZDFheute. Menschen könnten dem Trugschluss verfallen, dass, wenn die Kasse etwas bezahle, es auch wirken müsse, so Grams-Nobmann. "Es geht nicht um die Kosten, es geht um die Wissenschaftsleugnung oder -ablehnung."
Eine Verantwortung für die Popularität der Alternativmedizin weisen die Kassen von sich. Insgesamt kontaktierte ZDFheute 75 gesetzliche Krankenkassen, die homöopathische Leistungen in unterschiedlichem Umfang abrechnen. Keine davon gab an, in Reaktion auf die Pandemie ihre Haltung zu alternativmedizinischen Angeboten überdenken zu wollen.
So rechtfertigten einige der Kassen ihre Kostenerstattung für Homöopathie:
BKK Pfalz: "Können nicht gerade Schulmediziner, die auch Kenntnis von Homöopathie haben, viel zur Impfbereitschaft von Skeptikern beitragen? Das wünschen wir uns!"
AOK Bundesverband: "Für die Wirksamkeit der Homöopathie gibt es nach Einschätzung unserer Expertinnen und Experten keinen Nachweis der Wirksamkeit in methodisch hochwertigen Studien. Gleichwohl kann eine homöopathische Behandlung zu einer subjektiv wahrgenommenen Verbesserung der gesundheitlichen Situation bei den behandelten Personen führen und damit das Behandlungsziel erreichen."
R+V Betriebskrankenkasse: "Sehr viele Studien und Befragungen unter Versicherten belegen, dass Krankenkassen in der Hauptsache als Finanziers betrachtet werden. Die Vorstellung, dass wir in die Gesellschaft wirken können, geht also ein wenig an der Realität vorbei. (...) Krankenkassen können auch keine 'moralische Instanz' sein."
Gemeinsame Stellungnahme von vier Innungskrankenkassen (IKK): "Viele Versicherte geben die Rückmeldung, dass ihnen die Homöopathie hilft, bestimmte Beschwerden zu lindern und sie sind dankbar für die Möglichkeit, ihre partizipative Entscheidung für ihr Wohlbefinden treffen zu können. (...) Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe als Körperschaft des öffentlichen Rechts, Versicherte zu maßregeln."
Homöopathie-Verklärung auf den Webseiten
Auf den Kassen-Webseiten steht Werbung für Homöopathie-Leistungen gleichwertig neben Gesundheitsinformationen zu Sport, gesunder Ernährung oder schweren Krankheiten.
"Homöopathische Behandlungen bieten eine sanfte und ganzheitliche Therapie im Hinblick auf Körper, Geist und Seele", schreibt die Barmer-Ersatzkasse. "Natürlich liegt im Trend, denn die Nachfrage nach alternativer Medizin ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Homöopathie ist eine natürliche Heilmethode, die bereits seit über 200 Jahren praktiziert wird und als besonders schonend gilt", wirbt die IKK Classic.
Wissenschaftliche Einordnungen oder sogar explizite Warnungen vor Homöopathie gibt es auf den Kassen-Seiten kaum. Keine Kasse möchte Homöopathie-Anhänger als Kunden verlieren.
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Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert Reform
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist für ein Ende dieser Abrechnungspraxis. Die gesetzlichen Krankenkassen sollten "grundsätzlich keine Leistungen der Alternativmedizin finanzieren dürfen, solange der Nutzen nicht nachgewiesen ist", teilt die KBV ZDFheute mit.
"Gerade jetzt in den Zeiten einer Pandemie werden die Gelder der Krankenkassen dringend gebraucht – für Leistungen, die einen klaren wissenschaftlichen Nutzen vorweisen können", so ein KBV-Sprecher.
Die Homöopathie ist hierzulande die beliebteste alternative Heilmethode. Eine sanfte Medizin, die keine Nebenwirkungen hat. Aber auch keine erklärbare Wirkung? Sicher ist: Die Homöopathie ist ein riesiges Geschäft.
Ampel-Koalition hat keine Position zum Thema
Durch eine Reform der entsprechenden Passagen im Sozialgesetzbuch und im Arzneimittelgesetz könnte die Politik die Kassenfinanzierung für Homöopathie beenden. Vorbild könnte Frankreich sein, das diesen Schritt Anfang 2021 gegangen ist. Doch im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien steht zu Homöopathie kein Wort.
Dabei hatten die Grünen 2020 mit großem Aufwand einen parteiinternen Homöopathie-Kompromiss erarbeitet. Nur noch Mittel, deren "Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen" sei, sollten von Krankenkassen übernommen werden.
Janosch Dahmen, grüner Ampel-Unterhändler zur Gesundheitspolitik, wollte sich zu der Sache gegenüber ZDFheute nicht äußern. Ebenso wenig Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus. Beide hatten sich in der Vergangenheit klar gegen Homöopathie als Kassenleistung ausgesprochen.
Dass Impfablehnung unter Fans von Alternativmedizin ein akutes Problem ist, nehmen inzwischen auch manche Homöopathie-Anbieter wahr. Am Samstag rief der Globuli-Hersteller Deutsche Homöopathie-Union in Zeitungsanzeigen zum Impfen gegen das Coronavirus auf.
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