Die Corona-Zahlen in Japan steigen weiter an, der Notstand in Tokio wurde verlängert. Doch das hält die Menschen in Tokio nicht davon ab, abends ausgelassen auszugehen.
In Japan herrscht angesichts steigender Corona-Zahlen ein Gesundheitsnotstand in mehreren Präfekturen. Doch in Tokio scheint es so, als sei ein Notstand nicht vorhanden: Weder wird hier groß isoliert noch belebte Plätze vermieden. Das zumindest ergeben Daten, die der japanisch öffentlich-rechtlichen Sender NHK über anonymisierte Mobilfunkbewegungsprofile gewonnen hat.
Ausgehviertel weiterhin gut besucht
So war die berühmteste Wusel-Kreuzung der Welt, der Shibuya Scramble, nach Ankündigung des olympischen Notstands kaum weniger frequentiert. Waren vor der Erklärung rund 7.000 Menschen pro Stunde auf der Kreuzung unterwegs, waren es eine Woche darauf etwa 6.750. Im Vergleich zum Vorpandemie-Niveau mit etwa 13.000 Menschen ist das trotzdem etwa nur die Hälfte.
Auch die Frequentierung in den berühmten Ausgehvierteln Roppongis, Shinjukus und eben Shibuya ist vor allem nachts stabil auf einem halben Vorpandemie-Level.
Es geht ums Vergnügen
Dort, in Shibuya, treiben sich auch Tadayori und Mitsuhide in der Nacht der olympischen Eröffnungsfeier herum. Vom Entzünden der olympischen Flamme haben sie freilich nichts mitbekommen. Die Mittzwanziger sind lässig gekleidet: Sonnenbrille, blondrot gefärbte Haarmähne und knallrotes Yutaka-Hemd zeigen klar, worum es ihnen geht: Vergnügen. Extra aus Kanagawa, zwei Präfekturen weiter, sind sie rübergefahren.
"Vor der Pandemie sind wir etwa drei Mal im Monat ausgegangen", sagt Tadayori.
Alle Generationen machen mit
So wie die beiden denken offenbar viele. Frauen wie Männer, Mittfünziger wie Anfang Zwanzigjährige treiben sich zwischen blinkenden Themen-Discos, Hygieneschranken und Billig-Bier-Konbinis rum. Die Corona-Schutzmaske ist häufig nur Accessoire.
Die Bars sollen zwar per Sperrstunde schließen, doch viele Gastronomen halten sich nicht dran. In speziellen Meetings werden dort sogar ganz bewusst Grüppchen von Männern und Frauen in kleinen Räumen zusammengelost: Eine Art Date-Roulette. Zwar gibt es Anti-Corona-Regeln, aber daran hält man sich nur bedingt. "Lieber etwas mit Risiko erleben, als ohne Risiko nichts erleben", kommentiert Tadayori augenzwinkernd.
Weiterhin großer Zulauf an Pendlerbahnhöfen
Der Hang, wenig am eigenen Bewegungsprofil zu ändern, ist in der Ausgehszene groß. Doch in der Arbeitswelt ist er noch viel größer. Zentrale Pendlerbahnhöfe im Großraum Tokio haben so gut wie nichts an ihrem Zulauf verloren.
18.000 Menschen pro Stunde waren es vor Pandemie am Bahnhof Yokohama, 18.000 sind es auch heute. 9.000 sind und waren es in Omiya. Nur der Tokio Zentralbahnhof erlebt etwas geringere Zahlen - aber immerhin auch noch 30.000 Menschen pro Stunde statt den üblichen 47.000. Das ist in etwa so, als ob man ganz Frankfurt binnen eines Tages durch dasselbe Gebäude schleusen würde.
Die japanische Bevölkerung freut sich auf den ausländischen Besuch zu den Olympischen Spielen. Auf der anderen Seite schränkt die Regierung die Berichterstattung durch u.a. europäische Medien durchaus ein.
Als um fünf Uhr morgen Tokios Busse und Bahnen wieder anrollen, trifft Tokios Party-Volk auf bereits volle Zugabteile. Für anderthalb Meter Abstand reicht der Platz da kaum.
Sieben-Tage-Inzidenz steigt rapide an
Zusammen mit der niedrigen Impfquote und dem Prinzip, nur zu testen, wenn sich Symptome ergeben, herrschen in Tokio vortreffliche Bedingungen zum Ausbreiten des Coronavirus. Wie die Stadtverwaltung am Samstag bekanntgab, wurden binnen 24 Stunden 4.058 Neuinfektionen registriert. Damit steigt die Zahl der Fälle erstmals über die Marke von 4.000, nachdem sie drei Tage lang jeweils über 3.000 gelegen hatten. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist vom vergangenen Dienstag (25 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner) auf 41,2 an diesem Samstag geklettert.
Angesichts der steigenden Zahlen erscheint auch die Olympia-Blase in einem neuen Licht. Vor kurzem bat Ministerpräsident Yoshihide Suga den IOC-Chef Thomas Bach, Tokios Bevölkerung vor dem Virus durch Olympia zu schützen. Aber nun scheint es so, als müsste sich Olympia vor Tokio schützen.