Der Corona-Impfstoff von Biontech ist in Europa auch für 5- bis 11-Jährige zugelassen. Er ist aber noch nicht offiziell empfohlen. Was Eltern jetzt dazu wissen sollten.
Das Infektionsgeschehen unter Kindern ist in Deutschland weiterhin sehr hoch. Viele Eltern warten daher auf den Kinder-Impfstoff gegen Corona von Biontech/Pfizer, der seit vergangener Woche von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen ist. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat aber noch keine Empfehlung für die Impfung in der Altersgruppe ausgesprochen. Ab dem 13. Dezember sollen 2,4 Millionen Impfdosen für Kinder zur Verfügung stehen, vereinzelt impfen Kinderärzte aber auch jetzt schon jüngere Kinder.
Für welche Kinder kommt eine Impfung in Frage?
Grundsätzlich kann nach der EMA-Entscheidung jedes Kind geimpft werden. Die Entscheidung ob dies nötig oder ratsam ist, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. Es gilt abzuwägen, ob das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus das Risiko von möglichen Impf-Nebenwirkungen übersteigt.
Es sei wichtig, die Gefahr der Krankheit richtig einzuschätzen, meint Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Das Risiko einer Erkrankung mit einem schweren Verlauf sei für Kinder sehr gering. Es sei daher absolut angebracht, auf die Entscheidung der Stiko zu warten, ob sie die Impfung für Kinder empfiehlt. Dort würden aktuell große Mengen an Daten ausgewertet, um Risiko und Nutzen abzuwägen.
Die Sächsische Impfkommission (Siko) ist da schon einen Schritt weiter: In ihrer Empfehlung vom 1. Dezember schreibt sie, dass eine Corona-Impfung für Kinder zwischen fünf und elf Jahren empfohlen ist, wenn diese durch eine andere Erkrankung ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben oder die Kontakt zu Risikopersonen haben.
„Wir erwarten von der STIKO schon diesen Monat eine rasche Empfehlung für chronisch kranke Kinder“, so Jakob Maske, Kinder- und Jugendarzt, zur aktuellen Impfdebatte.
Wie wurde die Impfung bisher getestet?
Die Zulassung der EMA basiert auf einer klinischen Studie durch den Hersteller, an der 2.268 Kinder zwischen elf und fünf Jahren teilgenommen haben. Zwei Drittel von ihnen bekam je zwei Dosen des Impfstoffs, ein Drittel ein Placebo. Einen Monat nach der zweiten Dosis wurde die Menge der gebildeten Antikörper gemessen und es zeigte sich, dass diese etwa der Menge entspricht, die auch bei 16- bis 25-Jährigen nach der Impfung gefunden wurden. Die Immunantwort ist also vergleichbar.
Die Autoren sahen "ein günstiges Sicherheitsprofil", es seien "keine schweren impfbedingten Nebenwirkungen beobachtet worden".
Beobachtet wurden nur "milde und vorübergehende Reaktionen" wie Fieber, Schmerzen am Einstich, Müdigkeit oder Kopfschmerzen. Die Impfung sei sicher und effektiv, lautet das Fazit. Die Forscher beziffern die Wirksamkeit des Impfstoffs auf 90,7 Prozent.
Reichen die vorliegenden Daten aus, um die Impfung zu beurteilen?
"Eine Zulassung ist etwas völlig anderes als eine Impf-Empfehlung", sagt der ehemalige Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Fred Zepp, der Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist. Um den Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren zuzulassen, reichten die Daten wahrscheinlich aus: Dafür müsse zunächst nachgewiesen werden, dass die Impfung eine schützende Antikörperantwort auslöst und dass sie bei den Probanden keine akuten unerwünschten Nebeneffekte hatte.
Die Empfehlung der Stiko beschäftigt sich mehr mit der Frage, für wen eine solche Impfung ratsam ist. Also ob das Risiko der Impfung größer oder kleiner im Vergleich zum Risiko einer Erkrankung durch das Coronavirus ist. Diese Erkenntnisse würde man erst bekommen, wenn der Impfstoff eingesetzt wird oder wenn man auf Erfahrungswerte aus anderen Ländern, etwa die USA, blickt, so Zepp.
In den USA werden kleinere Kinder bereits seit November mit dem geringer dosierten Vakzin geimpft, bisher haben mehr als zwei Millionen Fünf- bis Elfjährige die erste Spritze bekommen.
Unterscheidet sich die Kinderimpfung von der für Erwachsene?
Eine im "New England Journal of Medicine" veröffentlichte Evaluation beurteilt die Studie von Biontech/Pfizer. In Phase eins war zunächst die Dosis bestimmt worden: Bei Erwachsenen sind es 30 Mikrogramm, für Kinder unter 12 Jahren entschied man sich nach Abschluss der Testreihe für 10 Mikrogramm.
Wie gehen Kinderärzte damit um?
"Wir plädieren dafür, zunächst abzuwarten, was die Stiko sagt", sagte Jakob Maske. "Es wäre nicht ratsam, dass die Politik die Impfung empfiehlt, solange es keine Empfehlung des Gremiums gibt, das die Politik berät." Kinderärzte, die jetzt schon im großen Stil Kinder impfen, sieht er eher kritisch:
60 Ärzte wollen nicht mehr warten - sie haben eine Online-Plattform mit Impfterminen für Kinder gestartet. Mehr dazu lesen Sie hier in unserem Bericht:
- 60 Ärzte bieten schon Kinderimpfungen an
Eigentlich können Kinder unter 12 erst kurz vor Weihnachten geimpft werden. Doch 60 Ärzte wollen nicht mehr warten. Sie starten eine Online-Plattform mit Impfterminen für Kinder.
Aber, so Jakob Maske: "Das ist eine freie ärztliche Entscheidung." Sogar vor der Zulassung des Impfstoffs für diese Altersgruppe ist es nicht illegal, kleinere Kinder zu impfen - der Fachbegriff dafür lautet Off-Label-Use. Dabei müsse individuell abgewogen werden. Wenn sich ein Kind etwa aus Angst vor einer Erkrankung sozial zurückzieht, kann eine Impfung helfen, eine psychische Belastung zu lindern.
Wann wird die Stiko entscheiden?
Die Stiko werde sich "größte Mühe" geben, bis zum 20. Dezember eine Empfehlung abzugeben, meint der zur Stiko zählende Kinderarzt Martin Terhardt. Es sei zunächst eine Empfehlung zu erwarten "für Kinder, die es wirklich dringend, dringend nötig haben", sagte Terhardt im Deutschlandfunk. Terhardt wies in diesem Zusammenhang Vorwürfe gegen die ehrenamtlich arbeitende Stiko zurück, zu langsam zu sein. "Wir würden gern oft schneller sein." Es gebe aber nicht genügend personelle Ressourcen in der Stiko-Geschäftsstelle beim Robert-Koch-Institut, wo hauptberufliche Experten der Stiko zuarbeiten. Die dort beschäftigten Wissenschaftler arbeiteten alle an ihrem Limit.
Ab dem 13.12. soll in der EU der Corona-Impfstoff für Kinder ab fünf Jahren verfügbar sein. Die Stiko möchte bis dahin eine Empfehlung aussprechen.
Lange Rede kurzer Sinn: Soll ich mein Kind impfen lassen?
"Wir haben aktuell keine Anzeichen für eine schwerer Krankheitswelle in dieser Altersgruppe", meint Philipp Henneke von der Klinik für allgemeine Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Freiburg. Die meisten Fälle bei Kindern würden in Schulen entdeckt und hätten keine Symptome. Auch Spätkomplikationen scheinen seltener zu werden.
Corona sei für Kinder eine milde Erkrankung, die Verläufe durch etwa das RS-Virus seien sehr viel schwer.
Können die Kinderimpfungen das Pandemiegeschehen eindämmen?
Auch diese Frage ist komplex: Wir haben aktuell eine sehr starkes Infektionsgeschehen, so Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Das bedeute, das sich früher oder später alle Kinder in den betroffenen Regionen mit dem Coronavirus anstecken und in der Folge eine gewisse Immunität aufbauen werden. Ob diese Immunität die Pandemie ähnlich beeinflusst wie eine Immunität durch eine Impfung, sei aktuell kaum berechenbar.
Diese Frage solle aber auch nur eine nachgeordnete Rolle spielen, so Kinderarzt Maske: Der beste Schutz für Kinder sei weiterhin die Impfung der Erwachsenen. Und sie ist auch die beste Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie.