Welchen Einfluss hat die britische Mutante B.1.1.7 auf Corona-Verläufe bei Kindern? Und was ist zu Long Covid bei den Jüngsten bekannt? Ein Überblick zum aktuellen Wissensstand.
Zumindest eines macht in der Coronavirus-Pandemie Hoffnung: Dass Sars-CoV-2 Kinder weniger schwer trifft als Erwachsene. Doch seit Auftreten der britischen B.1.1.7-Mutante wächst die Sorge vor schwereren Verläufen auch bei den Jüngeren - auch angesichts hoher Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen. Ist die Sorge berechtigt?
Wie ansteckend ist Corona für Kinder?
Die grundsätzliche Annahme, dass Kinder weniger stark von Covid-19 betroffen sind, gilt auch angesichts der neuen Variante B.1.1.7. "Die Symptome sind bei Kindern nicht anders als vorher. B.1.1.7 ist ansteckender, bisher gibt es aber keine Hinweise dafür, dass Kinder ansteckender oder mehr gefährdet sind als Erwachsene", fasst Johannes Hübner, Experte für Kinderheilkunde und Infektiologie am Uni-Klinikum München, im Gespräch mit ZDFheute zusammen.
Mehrere weltweite Studien haben im vergangenen Jahr gezeigt, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen weniger empfänglich für das Virus sind. Dabei sank die Empfänglichkeit je jünger die Kinder waren.
-
Kinder und B.1.1.7 - Was hat sich verändert?
Eine britische Untersuchung hat die Übertragung der alten Corona-Variante im Vergleich zum neuem B.1.1.7-Typ untersucht - bevor die Impfungen durchschlagen konnten. Ihr Ergebnis: Insgesamt steckten sich in allen Altersgruppen durch die neue Variante mehr Kontaktpersonen von Infizierten an - Kinder waren aber immer noch in geringerem Maße betroffen.
Wegen B.1.1.7 ist auch in Deutschland die Zahl der übermittelten Covid-Fälle bei Kindern und Jugendlichen angestiegen - und damit auch die Wahrscheinlichkeit für ernstere Verläufe.
So kletterte die Sieben-Tage-Inzidenz von Kindern im Alter von 5 bis 9 Jahren in der vergangenen Woche laut RKI auf einen bisherigen Rekordwert von 185. Auch in den Altersgruppen 10 bis 14 wurde demnach mit 205 ein Höchstwert erreicht. Inwieweit vermehrte Schnelltests in Kitas und Schulen dazu beitragen, ist im Moment noch unklar.
Corona-Symptome und Verläufe bei Kindern
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) zeigt die Mehrzahl der Kinder nach bisherigen Studien "einen asymptomatischen oder milden Krankheitsverlauf". Das bestätigt Kinderarzt Hübner:
Die Symptomatik hätte sich Hübner zufolge auch durch die britische Variante nicht verändert. So leiden Kinder nicht so häufig an Fieber oder Husten wie Erwachsene, dafür häufiger an Bauchschmerzen und Durchfall.
Dass B.1.1.7 bei Kindern mit schwereren Verläufen einhergeht, wurde bislang nicht beobachtet. Auch Fälle, in denen es durch Covid zu lebensbedrohlichen Erkrankungen wie PIMS kommt, sind nach wie vor äußerst selten. In einer Stellungnahme vom 18. April betonen mehrere Verbände für Kinderheilkunde, dass ein schwerer oder gar tödlicher Verlauf von Sars-CoV-2 bei Kindern und Jugendlichen weiterhin eine "extreme Seltenheit" sei.
Trotz steigender Inzidenzen bewegt sich die Zahl der stationär neu aufgenommenen Covid-Fälle im Kindes- und Jugendalter aktuell etwa auf dem Niveau vom Oktober vergangenen Jahres, erklärt Hübner. So seien von schätzungsweise 14 Millionen Kindern und und Jugendlichen in Deutschland bisher insgesamt nur etwa 1.200 mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt worden.
Wie hoch ist die Viruslast bei Kindern?
Das RKI schätzt, dass "Kinder wahrscheinlich eine niedrigere Viruslast haben als Erwachsene und dass diese auch von älteren zu jüngeren Kindern abnimmt". Für die These, dass Kinder "Virenschleudern" seien und mehr Menschen anstecken als Erwachsene, gibt es bislang keine Belege - auch nicht mit Blick auf die neue Variante B.1.1.7.
Trotzdem ist klar, dass mit aktuell steigenden Inzidenzen auch die Zahl der infizierten Kinder steigt - und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass auch sie das Virus weitergeben können.
Wie ist der Stand bei Impfungen für Kinder?
Bislang werden Kinder nicht gegen Covid-19 geimpft. Es laufen aber Studien der Hersteller - auch bei jüngeren Kindern. Die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) prüft aktuell die Zulassung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer für 12- bis 15-Jährige. Die Hersteller berichten von einer hundertprozentigen Wirkung und guten Verträglichkeit ihres Vakzins in dieser Altesgruppe.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält eine Freigabe des Impfstoffs bis Juni für realistisch - bis Ende August soll allen 12- bis 18-Jährigen eine erste Impfungen angeboten werden.
In den vergangenen vier Wochen haben sich die 7-Tage-Inzidenzen bei den 0-14-Jährigen mehr als verdoppelt. Bei der Altersgruppe 85+ zeigt die Impfung bereits ihre Wirkung. Die Frage ist nun, wann die Impfungen für Kinder und Jugendliche kommen.
Beim Thema Impfung stellt sich für Hübner eine wichtige Frage, die noch geklärt werden muss: Macht es Sinn, dass wir Kinder fremdnützig impfen?
Andererseits schätzen Expert*innen, dass für das Erreichen einer Herdenimmunität auch Kinder geimpft werden müssen. Zudem gibt es junge Patient*innen mit Vorerkrankungen, die auf den Impfschutz angewiesen sind.
Was zu Kindern und Long Covid bekannt ist
Die große Unbekannte bleibt Long Covid. Studien zufolge soll fast jeder zehnte Covid-Infizierte an Spätfolgen leiden. Auch Kinder können betroffen sein, vor allem das Symptom Müdigkeit spielt in diesen Fällen eine Rolle - noch ist das Ausmaß aber unklar.
"Die Daten bei Kindern sind nicht systematisch erhoben und wir wissen ehrlicherweise noch nicht, ob das ein nennenswertes Problem bei Kindern ist", sagt Hübner. Daten aus Großbritannien deuten darauf hin, dass Kinder und Jugendliche seltener über Langzeitbeschwerden klagen als Erwachsene.
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie hat mit einer Erfassung der Fälle begonnen. Bisher würden aber weder Hübner noch niedergelassene Kollegen, mit denen er gesprochen habe, Long Covid als großes Problem bei Kindern erachten. Das könne sich aber auch noch ändern.