Über 50 Schauspielerinnen und Schauspieler kritisieren mit der Aktion #allesdichtmachen die Corona-Politik. Doch nun müssen sich die Kritiker selbst Kritik gefallen lassen.
"Das ist keine Kritik, das spaltet. Es führt zu gar nichts. Es hilft vor allen Dingen niemanden", sagt der Pianist Igor Levit. Die Aktion "liefert, was ich besonders fatal finde, Schützenhilfe für die gesamte Querdenker-Szene und die AfD, die sich ja zum Teil in den Sozialen Netzwerken begeistert darüber äußern", kritisiert der Präsident der Deutschen Filmakademie Ulrich Matthes.
Nach der Protestaktion #allesdichtmachen sind die Kritiker der aktuell in Deutschland geltenden Corona-Maßnahmen selbst in die Kritik geraten. Über 50 Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter Jan-Josef Liefers, Volker Bruch, Richy Müller oder auch Heike Makatsch, haben sich mit ironischen Videos beteiligt und für Wirbel gesorgt.
Musiker Hartog über Zeitpunkt von #allesdichtmachen verwundert
Gitarrist und Songwriter Julius Hartog zeigt sich am Abend bei ZDFheute live irritiert:
Der Zeitpunkt für #allesdichtmachen sei "einfach unglücklich". Hartog unterstrich, es sei völlig ok, wenn über 50 Schauspielerinnen und Schauspieler sich an so einer Protestaktion beteiligten. Er wolle den Diskurs nicht verbieten, aber: "Ich nehme mir raus, dass ich den Standpunkt oder die Satire nicht gut fand und der Standpunkt, der da vertreten ist, nicht meiner ist." Hartog spricht sich für eine Niedrig-Inzidenz-Strategie aus und eine Pandemie-Politik mit einem klaren Ziel und ohne "Jo-Jo-Lockdowns".
Kritik an dem Bild eines "Meinungsdiktats"
Er sei als Musiker auch enttäuscht. "Man hat lange die Kultur übersehen und Hilfen sind schleppend gezahlt worden. Also, das teile ich", sagt Hartog.
Er kritisiert jedoch, dass suggeriert werde, wer den aktuellen Shutdown befürworte, würde sich einem "Meinungsdiktat" der Regierung fügen. Hartog bezieht sich auf ein Statement aus einem Clip von Schauspieler Jan-Josef Liefers:
Hartog betont, er sehe auch die Pandemie-Politik kritisch, komme aber zu ganz anderen Schlüssen: "Herr Liefers tut so, als wenn all diejenigen, die, so wie ich jetzt, den Lockdown fordern, nicht mehr kritisch denken."
Beteiligte Schauspielerinnen und Schauspieler zu ZDF-Interview nicht bereit
Er hätte gerne auch mit Jan-Josef Liefers diskutiert. "Aber anscheinend wollte keiner von denen heute vor die Kamera, was ich sehr bedauere, weil ich einen Diskurs gut finde", sagt Hartog.
In der Tat haben mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Videos inzwischen wieder zurückgezogen - nachdem sie in Sozialen Netzwerken unter anderem Beifall von Querdenkern und AfD-Politikerinnen und -Politikern erhalten haben.
Zu der Aktion Stellung nehmen wollten die an der Aktion #allesdichtmachen-Beteiligten jedoch im ZDF nicht. Nicht nur das Team von ZDFheute live hat den Tag über versucht, all diese Schauspielerinnen und Schauspieler anzufragen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Doch sie haben abgeblockt. Jan-Josef Liefers äußerte sich jedoch im Laufe des Tages auf Twitter:
[Lesen Sie hier auf Twitter die ganze Mitteilung des Schauspielers.]
Kommunikationswissenschaftler kritisiert pauschale Aussagen bei #allesdichtmachen
"Was ist eigentlich das Ziel hinter dieser Aktion gewesen?", das sei laut Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der FU Berlin genau die Frage. Er sei überrascht gewesen, dass Menschen, die regelmäßig im öffentlichen Rampenlicht stehen, "so wenig glaube ich begriffen haben, wie soziale Medien funktionieren, die Mechanismen der Öffentlichkeit". Es sei völlig in Ordnung, Kritik zu üben - nur die Art und Weise helfe nicht sehr viel weiter.
- Corona-Aktion von Schauspielern "peinlich"
Über 50 Film- und TV-Schauspieler sorgen mit der Video-Protestaktion #allesdichtmachen für Wirbel. Kollegen zeigen sich entsetzt. Der Initiator verharmloste Corona bei Instagram.
In den Videos von #allesdichtmachen seien relativ pauschale Aussagen in Bezug auf Politik, Medien und Wissenschaft vorgetragen worden. Die Schauspielerinnen und Schauspieler hätten sich auch differenziert äußern können und sich von den Querdenkern distanzieren können, sagt der Kommunikationswissenschaftler.
Neuberger kritisiert: #allesdichtmachen gelingt es nicht, die Debatte zu öffnen
Doch durch diese Verknappung in den #allesdichtmachen-Videos, "durch den Versuch, dem auch noch einen ästhetischen Wert zu geben, mit Ironie zu arbeiten, ist natürlich dann ganz vieles auf der Strecke geblieben." Neuberger kritisiert insbesondere, dass es nicht gelungen sei, die Debatte zu öffnen, stattdessen gebe es eine Polarisierung.
Man habe in der Vergangenheit ja gesehen, dass man über soziale Medien sehr wichtige gesellschaftliche Diskurse anstoßen und auf Probleme in der Gesellschaft hinweisen könne. Er verwies unter anderem auf #aufschrei, #metoo und #blacklivesmatter:
Er halte jedenfalls die Annahme für grundfalsch, dass wir eine eingeschränkte Meinungsfreiheit haben. "Im Gegenteil: Gerade die Aktion zeigt ja: Mit Hilfe sozialer Medien sind wir alle in der Lage ohne großen Aufwand uns öffentlich zu Wort zu melden - und man muss dann sicherlich auch Kritik ertragen".
Musiker Hartog berichtet zudem, die Schauspielerinnen und Schauspieler würden nicht für die ganze Kultur- und Kunstszene sprechen. Er habe den Tag über mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Musikbereich aber auch aus dem Schauspielbereich telefoniert. Da hätten viele ihr Unverständnis über die #allesdichtmachen-Videos geäußert. "Deswegen ist das halt eine Meinung von Schauspielern, aber es ist halt nicht die komplette Kulturszene, die so denkt."
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