Künstler und Kulturschaffende trifft die Corona-Pandemie besonders hart. Betroffene erzählen, wie sie trotz Pandemie kreativ tätig sein können.
Sarah Kesting, künstlerische Leiterin, Schloss Elmau
Schloss Elmau ist von der Corona-Krise gleich im doppelten Sinne betroffen: Als 5-Sterne-Hotel und als großer Kulturveranstalter mit jährlich ca. 230 Konzerten und Lesungen gehört es gleich zwei der besonders stark getroffenen Branchen an.
Die erste Schließungsphase von März bis Juni 2020 war eine surreale Zeit: ein leeres Hotel ohne Gäste und ohne Begegnungen.
Sobald als möglich wollten wir daher den Spielbetrieb wieder aufnehmen. Im Juni dann das erste Konzert nach dem Lockdown: überwältigend. Über den Sommer dann fast 70 Konzerte – mit großen Namen wie Grigory Sokolov oder Max Herre. Viele von ihnen hatten monatelang nicht vor Publikum gestanden.
Seit November ist das Hotel wieder geschlossen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit. Die Konzert-Planung ist arbeitsintensiv, alles ist mehrfach verschoben und bleibt weiter ungewiss angesichts fehlender Planbarkeit. Nun hoffen wir auf eine baldige Öffnung des Hotels.
Sorgen mache ich mir um das Selbstverständnis der Kultur. Es scheint, als ob die lange Zeit ohne Theater, Konzerte oder Kino eine Entwöhnung von diesen lebendigen Erscheinungsformen der Kultur mit sich gebracht haben könnte. Daher wird vielleicht nicht die gesamte Kulturbranche und auch nicht jedes Hotel die Krise überstehen.
Cymin Samawatie, Jazz-Sängerin, Dirigentin und Komponistin beim "Trickster Orchestra" und "Cyminology"
Am 9. März 2020 kam ich nach einer zehntägigen Recherchereise für ein Musikprojekt mit indischen Musiker*innen aus Bangalore zurück nach Berlin. Am Flughafen war bereits sichtbar, dass sich etwas verändert hatte. Im Laufe des März trudelte dann eine Konzertabsage nach der anderen rein.
Mein Herzensprojekt, das Trickster Orchestra, traf es hart: Alle Konzerte im Mai - beim Podium Esslingen, beim Mannheimer Sommer, in der Komischen Oper und Elbphilharmonie - wurden abgesagt, das von mir kuratierte Lerchenbaum Festival und ein Residenzstipendium in Istanbul fielen aus.
Als Orchesterleiterin verhandelte ich Ausfallgagen für meine Musiker*innen. Ohne musikalische Begegnungen empfand ich das Komponieren für die Schublade als beschwerlich, das sich mit Homeschooling und Vorstandssitzungen der Musikervereinigung IG Jazz abwechselte.
Ich schrieb meine ersten Regiepläne, komponierte für Sicherheitsabstand und ließ mich auf digitale Prozesse ein. Die stetigen Änderungen der politischen Auflagen wie Abstände in Instrumentengruppen erschwerten das.
Im Oktober gab es dann einige Auftritte vor Publikum. Meine Gastmusiker*innen aus Bangalore waren jetzt digital dabei. Mittlerweile kann ich kaum noch kreativ auf die Pandemie reagieren. In der Kulturpolitik geht es mir für die leidende freie Szene zu langsam voran.
Sapir Heller, Theaterregisseurin
Meine Arbeit am Theater ist sehr zeitintensiv, körperlich, emotional und es gibt einen engen Kontakt zwischen allen Teilnehmern bei Proben. Da wegen der Pandemie Versammlungen untersagt sind, finden momentan keine Theateraufführungen statt.
Gerade bereite ich kommende Projekte vor, die nach der Pandemie stattfinden sollen. Wann wird es aber sein? Das kann keiner genau wissen. Dazu kommt eine große Unsicherheit, ob die Projekte aufgeführt werden, oder dass ich wieder sehr viel Arbeit und Leidenschaft in etwas stecke, das womöglich wieder ausfällt.
Von Zuhause zu arbeiten, Zoom-Meetings zu haben, über optische Ideen durch den Bildschirm zu kommunizieren, Gespräche oder tatsächliche Proben digital zu führen: Das alles ist ziemlich das Gegenteil von dem, was ich als Regisseurin davor gewohnt war.
Das Gefühl eines kulturellen Stillstands ist kaum zu ertragen und Theatermacher und andere Künstler suchen ständig nach Alternativen, um mit dem Publikum im Austausch zu bleiben.
Also habe ich für das Nationaltheater Mannheim das Projekt "Cecils Briefwechsel" entwickelt.
Es ist ein "Post-Drama" im wahrsten Sinne des Wortes. Es findet ein Briefaustausch statt zwischen den Teilnehmern und der fiktiven Figur Cecil, die mit ihren Briefen auch kleine Requisiten schickt und Anweisungen gibt, wie man mit dem Text umgehen könnte.
So entsteht eine kleine Inszenierung bei den Teilnehmern persönlich zuhause. Denn wenn Sie nicht ins Theater kommen können, muss das Theater eben zu Ihnen kommen!
Robin Staps, Gitarrist bei "The Ocean" und Label-Chef bei "Pelagic Records"
Es sah zunächst so aus, als würde das Jahr 2020 für The Ocean eine einzige Katastrophe werden. Unser Auftritt auf dem Prognosis Festival im März war das erste Opfer der Pandemie, die Südamerika-Tour im Mai und das Wacken Festival und Metal Over Russia folgten.
Trotzdem haben wir uns entschlossen, am geplanten Veröffentlichungstermin für unser neuntes Studioalbum "Phanerozoic II" im September festzuhalten. Man kann ein Kunstwerk oder ein Album, was man bereits erschaffen hat, irgendwann nicht weiter zurückhalten. Die Geburtswehen werden unerträglich.
Durch die Arbeit für unser bandeigenes Plattenlabel Pelagic Records konnten wir auch bereits im Frühjahr absehen, dass der Herbst 2020 eine gute Zeit sein wird, um neue Musik zu veröffentlichen.
Sie haben den ganzen Sommer über kein Geld für Festivaltickets und die dazugehörigen Saufgelage ausgegeben. Das stand nun für den Kauf von Schallplatten zur Verfügung.
Wir haben unser neues Album schon dreimal nachpressen müssen, wir sind von der Nachfrage überrollt worden. Das hat dann sogar zu dem völlig unerwarteten Charteinstieg auf Platz 9 geführt, was sicher auch dadurch begünstig wurde, dass viele große Label Veröffentlichungen aus Panik verschoben haben.
Weil man unmöglich touren kann, haben wir die Zeit danach genutzt, um kreativ zu sein.
Das Songwriting ist bei The Ocean eh schon immer ein sehr intimer und tüfteliger Prozess gewesen, der mehr zuhause als im Proberaum stattfindet. Insofern stellten die Kontaktbeschränkungen hier kaum eine Herausforderung dar.