Im Libanon gilt jetzt eine strikte Ausgangssperre. Das Ziel: den dramatischen Anstieg der Corona-Infektionen bremsen. Wie bereitet sich die Bevölkerung darauf vor?
Es fehlt das Fleisch. Bis auf das Hühnchen und die Milch, die ausverkauft war, hat Marcelle Hanna alles im Supermarkt bekommen, was sie wollte. Jetzt umdrehen und nach dem Fleisch suchen will die 64-Jährige aber nicht. Lieber denkt sie sich ein neues Rezept aus.
"Ich habe genug. Da drinnen sind so viele Leute, dass ich Angst habe, mich mit Corona anzustecken", erklärt die Hausfrau, während sie über den Parkplatz zu ihrem schwarzen Geländewagen läuft. In ihrem Einkaufswagen liegen rund ein Dutzend prall gefüllter Plastiktüten. "Am liebsten hätte ich das Haus gar nicht erst verlassen", fährt sie fort, "aber es hilft ja nichts. Sich Lebensmittel liefern zu lassen ist zu teuer".
Elf Tage lang gilt im Libanon nun die Ausgangssperre
Es ist Mittwochmorgen und der Parkplatz des Supermarktes im Beiruter Stadtteil Hazmieh ist gut gefüllt. In der ganzen Stadt nutzen Menschen wie Hanna die letzten Stunden vor dem bevorstehenden Lockdown, um sich mit Lebensmitteln einzudecken.
Von Donnerstag an bleiben im Libanon alle Läden geschlossen. Die Regierung hat den bereits bestehenden Lockdown verschärft. Elf Tage lang gilt nun eine 24-stündige Ausgangssperre, Lebensmittel können nur noch über Restaurants und Supermärkte bezogen werden, die einen Lieferservice anbieten.
Lockdown soll Anstieg der Covid-Infektionen bremsen
Mit der Maßnahme versucht die Regierung den dramatischen Anstieg der Covid-Infektionen zu bremsen.
Am Sonntag gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt, dass mehr als 90 Prozent der landesweiten Intensivbetten belegt seien. Aufgrund mangelnder Kapazitäten werden Covid-Patient*innen teilweise in ihren Autos auf den Krankenhausparkplätzen behandelt. In den sozialen Medien finden sich verzweifelte Aufrufe von Menschen, die Beatmungsgeräte für erkrankte Familienangehörige oder Freunde suchen.
Corona-Behandlung können sich viele im Libanon nicht leisten
Nachrichten wie diese machen Marcelle Hanna Angst. Für ihren Einkauf hat sie zwei Masken übereinander angezogen. Die 64-Jährige ist Diabetikerin, ihr Ehemann ist an Alzheimer erkrankt. Eine Infektion und das damit verbundene Risiko, in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, will Hanna unbedingt verhindern. Mit gedrückter Stimme erklärt sie:
Der Libanon steckt in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Das libanesische Pfund hat im letzten Jahr etwa 80 Prozent an Wert verloren. Die Weltbank schätzt, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Hannas Familie ist auf die finanzielle Unterstützung ihrer Tochter angewiesen, die im Ausland lebt.
Über Weihnachten und Silvester hatte der Libanon noch gelockert
Die schwere wirtschaftliche Situation des Libanon ist auch einer der Gründe, weshalb die Regierung so spät auf die steigenden Infektionszahlen reagiert. Die Weihnachtsfeiertage verbrachte ein Großteil der libanesischen Diaspora in ihrem Heimatland. Um den Konsum der zahlungskräftigen Expats nicht einzuschränken, hob die Regierung die zuvor geltenden Ausgangsbeschränkungen über die Feiertage auf.
Die Armenia Street, eine beliebte Ausgehstraße im Stadtteil Gemmayze, wurde über Silvester zur Partymeile. Menschen feierten dicht an dicht in den Restaurants und Bars, viele ohne eine Maske zu tragen.
In einem Restaurant wenige Meter von der Armenia Street entfernt steht Rami Chehab neben einem Stapel Kartons. Auch die Lockdown-Vorbereitungen des 29-jährigen Managers bestanden vor allem darin Vorräte anzulegen. "Wir dürfen während der nächsten elf Tage zwar Essen ausliefern", erklärt er, "unsere Zulieferer haben aber geschlossen."
Die Entscheidung, die Bars und Restaurants über die Feiertage geöffnet zu lassen, kann Chehab in Teilen nachvollziehen. "Nach der Explosion waren alle Bars und Restaurants in der Gegend zerstört. Wir haben Monate damit verbracht unsere Räume wieder aufzubauen, wir brauchen Geld." Den strikten Lockdown könne er als Konsequenz nun in Kauf nehmen.
Auch die Inhaber anderer Geschäfte auf der Armenia Street befürworten den Lockdown. Die Maßnahme sei wichtig, um die Situation in den Krankenhäusern zu verbessern, findet etwa Johnny Saliba, der mit seinem Vater einen kleinen Lebensmittelladen betreibt. In elf Tagen habe er seine Kunden ja wieder.
Kritiker zweifeln an Effektivität des Lockdowns
Kritiker bezweifeln jedoch, dass die elftägige Ausgangssperre ausreichen wird, um die Gesundheitssituation im Land nachhaltig zu verbessern. Medienberichten zufolge soll eine erste Lieferung des Biontech-Impfstoffes Mitte Februar eintreffen. Zurzeit befindet sich die Regierung noch in Verhandlungen mit Biontech und Pfizer. Die Pharmaunternehmen bezweifelt die Zahlungsfähigkeit des Landes.
Schon vor dem Lockdown hat im Libanon ein neuer Shutdown gegolten. Eindrücke aus dem Land im Video.