Nicht alle können sich über den Wegfall der meisten Corona-Maßnahmen freuen. Insbesondere der Risikogruppe fehle damit ein wichtiger Schutz im Alltag, erzählen Betroffene.
Die meisten Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland sind passé. Viele freuen sich über die Lockerungen und die neu gewonnenen Freiheiten. Aber nicht alle atmen erleichtert auf. Es gibt Menschen, die sich vergessen fühlen, die sich selbst nicht ausreichend schützen können - und die stärker als der Großteil auf die Vorsicht und Rücksichtnahme anderer angewiesen sind.
36,5 Millionen Menschen in Deutschland haben laut Robert-Koch-Institut (RKI) ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf. Das sind etwas mehr als 40 Prozent der Bevölkerung. 21,6 Millionen Menschen ordnet das RKI der Hochrisikogruppe zu. Für manche fühlt sich der Wegfall vieler Corona-Regeln nicht nach Freiheit an, sondern bedeutet oftmals wieder mehr Einschränkung und Rückzug als ohnehin schon.
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Angst vor dem Einkauf im Supermarkt
Romina ist 27 Jahre alt. Sie hat eine Blutgerinnungsstörung und einen angeborenen Herzfehler. Statt zwei Herzkammern - wie gesunde Menschen - hat sie nur eine. Zumindest im beruflichen Umfeld fühlt sie sich noch gut geschützt: Romina arbeitet in einer Arztpraxis. Die Maskenpflicht gilt hier weiterhin. Aber in Alltagssituationen, zum Beispiel beim Einkaufen, sieht sie inzwischen viele Menschen ohne Masken und fühlt sich unwohl:
Ähnlich fühlt sich auch Fabian aus Fürth: "Ich schütze mich mit der Maske, aber ich fühle mich durch die Nähe, die ich nicht vermeiden kann, entsprechend ungeschützt und habe ein Risiko, das ich nicht vermeiden kann."
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Fabian ist MS-Erkrankter und leidet unter einer Sarkoidose, einer entzündlichen Erkrankung, die auch die Lunge angreift. Der 60-Jährige ist zwar vierfach geimpft, aber durch Medikamente wie Cortison in hoher Dosis verschwinden bei ihm die Antikörper schneller als bei gesunden Menschen - und damit auch der Impfschutz.
Risikogruppe kann sich Vertrauen in das Prinzip Eigenverantwortung nicht leisten
Sowohl Romina als auch Fabian sind nicht per se gegen Lockerungen. Aber dass in Deutschland bereits jetzt überwiegend das Prinzip Eigenverantwortung gilt - und das trotz weiterhin hohen Corona-Infektionszahlen - frustriert sie. Lockerungen hätte es erst dann geben dürfen, "wenn die Impfquote sehr hoch ist", findet Fabian. Die Impfpflicht wäre für beide zumindest ein kleiner Lichtblick gewesen.
Stattdessen habe man die Problematik auf Krankenhäuser verlagert und an jeden Einzelnen zurückgespielt, kritisiert Fabian. Nach dem Scheitern der Impfpflicht ist allerdings ungewiss, ob die Impfquote in absehbarer Zeit deutlich zu steigern ist.
Die 24-Jährige Alexandra, bei der ein Gendefekt eine Autoimmunerkrankung ausgelöst hat, kann nicht sagen, wann für sie der richtige Zeitpunkt für Lockerungen gewesen wäre: "Das ist wirklich so ein Zwiespalt, ein innerer, wie man damit umgehen soll. [...] Es ist für alle so ein persönliches Abwägen, so ein persönliches Gefühl."
Romina und Alexandra sind zumindest erleichtert darüber, dass die Corona-Isolationspflicht nun doch vorerst bleibt. Fabian kann daraus jedoch kaum Mut schöpfen. Die Gesundheitsämter seien überlastet, so der 60-Jährige. Eine Kontrolle der Einhaltung der Isolation sei nicht zu gewährleisten: "Das ist ähnlich wie eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn, wo ich weiß, es gibt keine Radarfalle."
Betroffene wünschen sich Rücksicht und Vorsicht im Alltag
Romina, Alexandra und Fabian missgönnen niemandem den Restaurantbesuch, das Treffen mit Freunden oder die nächste Party. Sie haben Angst. Alles, was sie sich wünschen, ist, nicht vergessen zu werden: Durch mehr Beachtung ihrer Situation sowie Hilfe seitens der Politik. Aber auch durch die Solidarität ihrer Mitmenschen im Alltag, weil sie darauf angewiesen sind.
Dass sie zur Risikogruppe gehört, sagt Romina, habe sie sich nicht ausgesucht: "Es ist nicht garantiert, dass man ein Leben lang gesund bleibt. [...] Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich das vor Augen halten."
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