Über 29 Millionen Menschen waren oder sind mit Corona infiziert. Jeder zehnte entwickelt Langzeitfolgen. Viele Long-Covid-Betroffene können ihren Job nicht mehr voll ausüben.
Long-Covid-Patienten wie der Moderatorin Visa Vie fällt es schwer weiter voll zu arbeiten.
Mit dem Fahrrad von München nach Venedig radeln, dreimal die Woche Sport treiben, den Job als Sonderschulpädagogin - all das liebte Anja, die ihren vollen Namen nicht nennen will. Denn von ihrem früheren Leben ist für die 46-Jährige nicht mehr viel übrig geblieben.
Im März 2020 infizierte sie sich mit Corona. Heute schafft es Anja an manchen Tagen kaum aus dem Bett. Sie leidet an einer besonders schweren Form von Long Covid - dem Chronischen Fatigue Syndrom.
Körperlicher Zusammenbruch bei minimaler Belastung
Ein andauernder Erschöpfungszustand macht es Betroffenen unmöglich, ihren Alltag zu bestreiten. Bei nur minimaler Belastung droht ihr der körperliche Zusammenbruch, tagelang muss sie dann im Bett verbringen. Sie fühlt sich "gefangen im eigenen Körper".
Die Ärztin Nora Drick an der Post Covid Ambulanz der Medizinischen Hochschule sagt, Long Covid eindeutig festzustellen sei auch im dritten Pandemiejahr immer noch schwierig:
Deshalb werde Long Covid im Ausschlussverfahren diagnostiziert.
Long Covid als Berufskrankheit nur selten anerkannt
Anja kämpft darum, ihre Erkrankung als Berufskrankheit anerkennen lassen. Bisher wird Long Covid nur bei Angestellten im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege als Berufskrankheit anerkannt.
Als Sonderschulpädagogin sei sie dem Infektionsgeschehen nicht in einem ähnlich hohen Maße ausgesetzt gewesen, schreibt ihr die Unfallkasse.
Diese Regelung hat das Bundesarbeitsministerium getroffen. Auf Nachfrage von "frontal" heißt es:
Wenn Corona zum Armutsrisiko wird
Anja will die Entscheidung der Unfallkasse nicht hinnehmen und dagegen klagen, auch wenn das ein langer Kampf wird. Verliert sie diesen, bleibt ihr nur noch ein Leben von Hartz IV. So ergeht es vielen, sagt Karin Wüst, Leiterin der Beratungsstelle für Berufskrankheiten in Berlin.
Nach sechs Wochen Lohnfortzahlungen bekommen Betroffene von den gesetzlichen Krankenkassen 72 Wochen lang Krankengeld gezahlt. Wenn auch dieses ausläuft, bliebe nur noch der Gang zum Jobcenter.
Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte kürzlich in einem Tweet: "Den finanziellen Absturz der Opfer müssen wir stoppen". Doch auf Nachfrage verweist sein Ministerium lediglich auf Reha-Leistungen der Deutschen Rentenversicherung. Dabei würden "Funktionsstörungen bei Long-COVID bereits heute gezielt durch verschiedene Angebote therapiert."
Mehr Forschung unbedingt notwendig
Für Menschen wie Anja, die am Chronischen Fatigue Syndrom leiden, gebe es derzeit noch keinen Heilungserfolg. Sie würden aber nur ein bis zwei Prozent aller Long-Covid-Patienten ausmachen, sagt Professor Tobias Welte, der an der Medizinischen Hochschule Hannover die Long-Covid-Ambulanz leitet.
Bei den meisten Betroffenen gingen die Beschwerden irgendwann zurück, sie bräuchten einfach mehr Zeit für die Genesung, glaubt Tobias Welte. Auch deshalb warnt er davor junge Menschen zu schnell zu berenten und plädiert für "Zwischenlösungen".
Dafür braucht es aber den Willen der Politik. Um sagen zu können, was mit Long Covid auf unser Gesundheits- und Sozialsystem zurollt, brauche es mehr Forschung und mehr Daten, sagt die Münchener Epidemiologin und Biostatistikerin Ursula Berger:
Denn schon bevor der Herbst begonnen hat, zeichnet sich ab: Die Zahl der Corona-Infektionen wird weiter steigen und damit auch von Long-Covid-Betroffenen, denen der soziale Abstieg droht.
- Wie hoch die Corona-Zahlen eigentlich sind
Die Corona-Dunkelziffer könnte bis zu dreimal so hoch sein wie die offiziellen Infektionszahlen, schätzt ein Covid-19-Experte. Warum das ein Problem ist.