Staatsoper und Uniklinikum in Hamburg machen ein ungewöhnliches Projekt: Gesangsprofis helfen Long-Covid-Betroffenen, verlorenes Lungenvolumen neu aufzubauen.
Nach überstandener Covid-Erkrankung leiden viele Menschen an Luftnot. In einem Projekt helfen professionelle Sänger, die Probleme der Patienten mit Gesangstechniken zu überwinden.
Ivan Kirr ist ein kräftiger Mann. 1,70 Meter groß, breite Schultern, muskulös. Nichts haut einen wie ihn so leicht um. Das denkt man, wenn man ihn sieht. Das dachte er, bevor es ihn vor einigen Wochen traf. Diagnose: Covid-19. Erst hatte er starke Nierenschmerzen. Dann Schwindel, Fieber, Kopfschmerzen. Später suchten ihn heftige trockene Hustenanfälle heim. Das war im März.
Mittlerweile geht es ihm besser. Sein Lächeln ist zurückgekehrt - das alte Lungenvolumen nicht. Noch heute fällt Kirr das Atmen schwer. Der 54-Jährige hat das, was Ärzte Long-Covid nennen.
Dank einer ungewöhnlichen Kooperation der Hamburgischen Staatsoper mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) bekommt er nun Hilfe - von einer professionellen Opernsängerin.
Atemübungen helfen, das Lungenvolumen wieder aufzubauen
Kristina Stanek ist Mezzosopranistin und Teil des Hamburger Ensembles. Es ist eine bittere Zeit für sie. Die Kultur liegt brach, Aufführungen abgesagt. Anstatt vor jubelndem Publikum steht sie vor der Kamera ihres iPads und hilft Kirr, das Atmen neu zu erlernen.
Dieser sitzt auf der anderen Seite der Leitung in seiner Wohnung und imitiert die Bewegungen der Opernsängerin. Sie heben die Arme, heben den Brustkorb - und atmen tief ein. Kurze Stille. Dann atmen sie wieder aus. Es sind einfache Atemübungen wie diese, die Stanek dem Patienten beibringt.
Die Übungen sollen helfen, das verloren gegangene Lungenvolumen wieder aufzubauen. Denn durch die Covid-19-Erkrankung wird die Atmungsmuskulatur stark geschwächt. Die Atmung wird flach. Kirr sagt:
Rund fünf Prozent aller Corona-Erkrankten leiden an solchen Langzeitfolgen. Neben anhaltender Vergesslichkeit und Kopfschmerzen ist es diese Atemnot, über die Patient*innen noch Monate später klagen. Daher müssen sie das Atmen mit Physiotherapie und Rehabilitation neu erlernen.
"Ich bin keine Atemtherapeutin"
Anfangs war Stanek noch unsicher: "Ich bin schließlich keine Atemtherapeutin." Doch die positive Entwicklung beim Patienten bestärkt sie: Immer mehr reaktiviert sich die Lunge von Kirr. Mittlerweile ist er von 40 Prozent auf 60 Prozent Lungenkapazität zurückgekehrt.
Insgesamt, sagen die Beteiligten, sei das Projekt eine neue Erfahrung - für Kultur und Medizin gleichermaßen.
Hermann Reichenspurner, Professor und Facharzt für Herzchirurgie, hat das Projekt federführend angeleitet und die Verbindung zwischen Staatsoper und Universitätsklinikum hergestellt.
Chronische Schmerzen, andauernde Erschöpfung, Kurzatmigkeit - viele ehemalige Corona-Patient*innen leiden auch nach langem Reha-Aufenthalt noch unter den Folgen der Erkrankung.
Für die Künstler*innen sieht Georges Delnon, Opernintendant der Hamburgischen Staatsoper, den Vorteil, dass sie sich trotz geschlossener Theater nun aktiv einbringen können. "Die Sänger*innen leiden unter akutem Publikumsmangel. Jetzt haben sie wieder einen Gegenüber. Und ich merke an den Gesprächen, wie viel Freude und Befriedigung es ihnen bringt."
Vorbild dieser ungewöhnlichen Kooperation war ein Projekt der English National Opera in London mit dem National Health Service. Rund 2.000 Long-Covid-Patient*innen wurden dort von den Gesangsprofis betreut.
"Ich habe das Atmen neu gelernt"
Im Vergleich dazu ist das Hamburger Projekt noch klein. Es sind derzeit etwa 15 Patient*innen, die an dem mehrwöchigen Atem-Training teilnehmen.
Ivan Kirr gehört zu den Personen, bei denen die Übungen Wirkung zeigen. Bis er vollständig genesen ist, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Doch schon jetzt habe er dank der Übungen neue Lebensqualität zurückgewonnen.
- Long Covid: Ganze Karrieren gefährdet
Auch bei Spitzensportlern werden immer häufiger Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion entdeckt - unabhängig von der Schwere der Erkrankung und in erschreckender Vielfältigkeit.