Corona-Folgen: "Jeder 20. Infizierte bekommt Long Covid"

    Interview

    Trotz Impfung und Omikron:"Jeder 20. Infizierte bekommt Long Covid"

    18.10.2022 | 11:40
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    Long Covid schränkt den Alltag vieler Betroffener ein. Wie hoch ist das Risiko trotz Impfung und bei Omikron? Ein Gespräch zum aktuellen Stand der Forschung und Therapie.

    Eine Frau liegt unter einer Wolldecke auf der Couch
    Etwa jeder 20. wird nach seiner Corona-Erkrankung nicht wieder richtig fit. (Symbolbild)
    Quelle: iStock/Radovanovic96

    ZDFheute: Frau Frommhold, aktuelle Schätzungen der Anzahl von Long-Covid-Patient*innen in Deutschland reichen von fünf bis über 40 Prozent: Wie viele Menschen sind betroffen?
    Jördis Frommhold: Wir sollten von fünf bis zehn Prozent der Infizierten ausgehen.

    Diese realistische Zahl angenommen, bekommt mindestens jeder 20. Infizierte Long Covid - immer noch verdammt viel.

    Im europäischen Vergleich ist Deutschland noch an der unteren Grenze: Die WHO spricht von 17 Millionen Betroffenen in Europa. Hochgerechnet auf die Infiziertenzahl entspricht das 16 Prozent.

    Median-Klinik - Chefärztin Jördis Frommhold
    Quelle: dpa

    ... ist Lungenfachärztin und Präsidentin des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long Covid. Sie hat die ärztliche Leitung am Institut Long Covid in Rostock. Seit Beginn der Pandemie befasst sie sich mit den Spätfolgen einer akuten Corona-Infektion. Als Chefärztin der Median-Klinik Heiligendamm hat sie mehr als 5.500 Long-Covid-Patient*innen behandelt.

    ZDFheute: Welche Rolle spielen Impfungen?
    Frommhold: Die Impfungen reduzieren das Risiko akut schwerer Verläufe und die Hospitalisierungsraten - das ist supergut. Sie reduzieren auch das Risiko für Long Covid, um etwa 50 bis 70 Prozent.
    Was man nicht verhehlen darf: Zunehmend entwickeln Patienten, die sich niemals mit Covid-19 infiziert haben, nach der Impfung Long-Covid-ähnliche Post-Vac-Symptome. Da haben wir aber noch keine wirklichen Zahlen.
    Überblick Deutschland
    ZDFheute Infografik
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    ZDFheute: Gibt es Unterschiede bei den Virusvarianten?
    Frommhold: In der Delta-Welle waren einige noch nicht geimpft. Die Impfungen reduzierten die Long-Covid-Fälle, ebenso Omikron. Nochmal betont: Auch vier oder fünf Prozent der aktuell Infizierten sind extrem viel.
    Auch das Long-Covid-Risiko steigt, ist vielleicht auch abhängig von Mehrfach-Infektionen. Auch bei der dritten oder vierten Infektion gibt es ein Risiko für Spätfolgen.
    Anteil der Corona-Varianten in Deutschland
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    ZDFheute: Welche Faktoren erhöhen das Long-Covid-Risiko?
    Frommhold: Ich kann nicht sagen: Mit einer bestimmten Vorerkrankung oder irgendwelchen Lebensumständen kriege ich eher Long Covid. Wir wissen: Frauen sind häufiger betroffen als Männer, etwa zwei Drittel zu einem Drittel.

    Wichtig ist: Die akute Erkrankung - egal, wie milde - braucht Ausheilungszeit.

    Diese "Arbeitsquarantäne" muss überdacht werden, sonst verschleppt man das Ganze und "generiert" wohlmöglich Spätfolgen, die man vorher schon minimieren konnte.
    ZDFheute: Können Kinder Long Covid bekommen?
    Frommhold: Zum Glück ist das Risiko für Long Covid bei Kindern niedriger als bei Erwachsenen. Gerade hier gingen die Zahlen weit auseinander: zwischen unter einem Prozent bis über 58 Prozent, wahnsinnige Differenzen.
    Mittlerweile geht man von einem Prozent oder sogar weniger aus. Was man auch beachten muss: Kinder sind in vielerlei Weise von der Pandemie betroffen. Auch psychosoziale Einschränkungen können Langzeitfolgen sein.
    ZDFheute: Was schützt vor Long Covid?
    Frommhold: Wichtig ist, schon in der akuten Phase auf Atemübungen zu achten. Auch ohne Probleme mit der Lunge oder nur wenig Husten. Bewusst tief und kürzer ein- als auszuatmen hilft extrem, genauso inhalieren mit Kochsalzlösung.
    Long Covid kann so nicht komplett verhindert werden, aber mit der richtigen Atemabfolge ist es später leichter, die Belastung zu steigern.
    ZDFheute: Kann sich Long Covid auch entwickeln, wenn ich mich nach einer Corona-Infektion wieder fit fühle?
    Frommhold: Wenn es mir nach meiner Erkrankung wieder gut geht, ist alles fein. Wenn man wieder ins Alltagsleben einsteigt, sollte man aber nicht komplett übers Ziel hinausschießen.

    Nach zehn Tagen ist auf der Arbeit vielleicht einiges liegengeblieben, ich denke: Jetzt mache ich noch fix zwei, drei Überstunden. Diese Überlastung sollte vermieden werden.

    Gleiches gilt für Sport: Wenn es über mehrere Monate gut klappt, mit langsamem Steigern, gilt Entwarnung. Doch manche Menschen starten voll durch und nach ein bis drei Monaten gibt es einen Rückschlag.
    ZDFheute: Bei welchen Symptomen schlägt die Therapie an?
    Frommhold:

    Long Covid kann bis zu 200 verschiedene Symptome haben, in unterschiedlichster Konstellation.

    Kaum ein Patient gleicht dem anderen. Das macht die Diagnose schwierig. Man muss die hauptsächlich einschränkenden Symptome herausfiltern und eine gemischte Therapie mit psychologischer und somatischer, also körperlicher Unterstützung anbieten.





    Studien in der Reha-Therapie zeigten: Gerade Atem-Problematiken konnten sich halbieren. Auch die Belastbarkeit und die Fatigue-Symptomatik wurden besser - und das nach nur drei Wochen.
    Seit der Corona-Pandemie leiden mehr Menschen an dem chronischen Fatigue-Syndrom - eine Krankheit, gegen die es noch kein Medikament gibt.21.09.2022 | 3:06 min
    ZDFheute: Hat Long Covid überhaupt ein Ende?
    Frommhold:

    Aktuell kann man es nicht heilen. Es ist wie mit vielen anderen chronischen Erkrankungen: Mit einer Zuckererkrankung oder anderen Autoimmunerkrankung kann ich mehr oder weniger gut umgehen. So ist es auch bei Long Covid.

    Jördis Frommhold, ärztliche Leitung am Institut Long Covid

    Es gibt nicht die eine Pille dagegen und keine Wunderheilung. Aber wir können mit Long Covid leben. Es ist emotional schwer, sich darauf einzulassen, und hat viel mit Krankheitsakzeptanz zu tun. Wir müssen erkennen: Nach genesen gibt es noch ein Folgestadium.
    Das Interview führte Marielle Klein.

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