Die Infektionszahlen sinken und trotzdem wird wieder über weitere Verschärfungen der Corona-Regeln spekuliert. Grund dafür sind Mutationen, die das Virus verändert haben.
Die Infektionszahlen sinken, die Zahl der gegen das Coronavirus geimpften Menschen steigt - und trotzdem treffen sich die Ministerpräsident*innen der Länder am Dienstag zu einem vorgezogenen Gipfel, um die Maßnahmen gegen die Pandemie nochmal zu verschärfen oder zumindest zu modifizieren. Warum ist das so?
Ein Faktor dabei sind Mutationen, die das Coronavirus scheinbar immer häufiger und stärker verändern. Ein Überblick:
Warum machen die Mutationen der Politik so große Sorgen?
Viren verändern sich. Auch vom Sars-CoV-2-Virus wurden bisher schon Hunderte Varianten registriert. Das ist ein ganz natürlicher Prozess, das Virus versucht damit, sich besser an seine Umwelt anzupassen.
Die beiden Virusvarianten, die aktuell die Politik beschäftigen sind zum einen die Variante B.1.1.7 aus Großbritannien, und die Variante B.1.351, die in Südafrika entstanden zu sein scheint. Beide weisen eine Reihe von Veränderungen an den sogenannten Stachelproteinen auf. Diese sind dafür verantwortlich, dass das Virus in menschlichen Zellen eindringen kann - und machen die Mutationen offenbar ansteckender. Das hat einen Effekt auf die Pandemie: Die britische Variante macht mittlerweile einen Großteil der nachgewiesenen Infektionen aus.
In Zahlen bedeutet das: Wenn sich bei den bisherigen Coronaviren etwa zehn Prozent aller Kontaktpersonen angesteckt haben, sind es nach Berechnungen der Gesundheitsbehörde in England bei der neuen Variante 15,1 Prozent. Auch wenn die Wissenschaftler bisher davon ausgehen, dass die neuen Varianten nicht tödlicher sind oder schwere Krankheitsverläufe hervorrufen, könnte diese Ansteckungsquote die Gesundheitssysteme zum Kollaps bringen.
[Wie genau die erhöhte Infektiosität sich auf das Gesundheitswesen auswirkt, haben wir in einer Story erklärt]:
Mutationen können auch den Schutz der Impfung kaputt machen
Ein weiteres Problem der Mutationen ist, dass sie die Wirkung der Impfstoffe aushebeln können. Immunevasion nennt man diesen Vorgang: Sobald das Virus nicht mehr genügend Wirte findet, um sich auszubreiten, verändert es sich. Bisher hatte das Coronavirus damit kaum Probleme - nur bereits infizierte Menschen waren mit Antikörpern geschützt gegen die Infektion.
Was aber passiert, wenn eine Art Herdenimmunität erreicht wird, kann in der Provinzhauptstadt Manaus in Brasilien aktuell beobachtet werden. Etwa 75 Prozent der Bevölkerung dort waren bereits infiziert. Es gab Hoffnungen, dass sich die Situation nun entspannen würde. Doch eine neu nachgewiesene Virusmutation P.1 scheint sich so entwickelt zu haben, dass bestehende Antikörper nicht mehr vor einer erneuten Infektion schützen.
Die dafür verantwortliche Mutation mit der Bezeichnung E484K wurde auch in der südafrikanischen Corona-Variante entdeckt. Der US-Biologe Jason McLellan sieht in den genetischen Veränderungen die Gefahr, dass die gerade zugelassenen Impfstoffe durch sie an Wirkung verlieren, sagte er dem Fachmagazin "Nature".
Was kann helfen, die Mutationen einzudämmen?
"An sich muss jetzt die Notbremse gezogen werden, aber richtig", schätzt der Virologe Martin Stürmer vom LAB Frankfurt die Lage ein. Anhaltend hohe Infektionszahlen könnten weitere Mutationen befördern und damit den Kampf gegen die Pandemie weiter in die Länge ziehen.
Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat in einer Empfehlung an die Ministerpräsidenten eine No-Covid-Strategie gefordert:
Das würde bedeuten: Shutdown bis zu einer 7-Tage-Inzidenz von 10, danach eine weitere Reduktion auf Null.
[Auch an anderer Stelle werden Rufe nach einer "No-Covid-Strategie" laut, dort nennt sich das "Zero Covid"]:
Die aktuelle Strategie sei gescheitet. Deswegen will die Initiative jetzt einen kompletten Shutdown. Mit dem Ziel: 0 Corona-Neuinfektionen.