Laster mit Leichen, Massengräber zur Beerdigung von Tausenden Corona-Opfern: Die Bilder aus New York gingen um die Welt. Doch nun blüht die Stadt auf, das Virus scheint besiegt.
Es war wie der Urschrei, der eine neue Zeitrechnung angekündigt hat vergangene Woche. Ein Urschrei, so wild und ungezügelt, dass er meinen Sohn und mich sogar zu Hause vom Sofa geblasen hat, ein Schrei, der von New York bis nach Los Angeles zu hören war. LeBron James, Star der LA Lakers, der wie wir wohl vorm Fernseher saß, twitterte:
Der Madison Square Garden, in dem die New York Knicks gerade gegen die Atlanta Hawks in den Basketball-Play-Offs spielten, war am Toben. 15.000 Fans schrien sich die Seele aus dem Leib und man spürte, dass es um mehr ging als um Sport - es war der Schrei der Befreiung vom Joch eines Feindes, der die einzig echte Weltmetropole über viele Monate zum Schweigen gebracht hatte.
Heute am Memorial Day gedenken die USA traditionell ihrer Soldaten, die im Kampf für Amerikas Freiheit gefallen sind. New Yorks Gouverneur, Andrew Cuomo, hat alle New Yorker aufgerufen, diesmal auch die zu ehren, die in der Schlacht gegen Covid-19 ihr Leben gelassen haben. Die vielen Krankenschwestern und Krankenpfleger, Ärzte, Busfahrer-, Verkäufer und Verkäuferinnen.
Massengräber bleiben in Erinnerung
Covid-19 hat New York hart getroffen. Allein in New York City sind bis heute mehr als 33.000 Menschen daran gestorben. In Erinnerung bleiben die Massengräber und die Kühllaster, in denen die Leichen zwischengelagert werden mussten, weil die Leichenhallen mit den vielen Toten nicht mehr klar kamen (noch immer sind viele Kühllaster voll), Bestattungsunternehmer und Friedhöfe völlig überfordert waren.
"So viele Tote in der Leichenhalle – so etwas hatten wir noch nie zuvor gesehen." Der 24-jährige New Yorker Bestatter Jesus Pujol ist während der Pandemie an seine Belastungsgrenze gekommen.
Um die Dimension zu verstehen mag ein Vergleich helfen: Rechnet man die Todesrate auf die Bevölkerung in Deutschland hoch, dann wären es etwa 330.000 Tote - in Deutschland sind es bis heute etwa 89.000 Tote.
Weder Maskenpflicht noch Social-Distancing für Geimpfte
Monatelang war die Stadt im vergangenen Frühjahr wie leergefegt, hatten sich die New Yorker in ihren Wohnungen verbunkert. Aber damit ist es jetzt vorbei. Das Leben kehrt mit riesengroßen Schritten in die Stadt zurück - und dabei setzt New York vor allem auf eins: aufs Impfen.
Für Geimpfte gelten in New York praktisch keine Einschränkungen mehr: Keine Maskenpflicht, kein Social-Distancing. Veranstalter können ihre Sport- und Kulturevents mit hundertprozentiger Kapazität fahren, sofern alle Besucher geimpft sind. Sonst sind es nur 33 Prozent. Im Madison Square Garden war die Hütte praktisch voll - und das bei Ticketpreisen zwischen 900 und 30.000 Dollar.
New York impft - immer und überall
Die Baseball Teams der New York Yankees und der New York Mets locken mit Freitickets für Geimpfte und bieten selbst gleich Impfungen mit an. Auch im Museum für Natural History kann man sich impfen lassen - direkt unter einem riesigen Blauwal.
In Impfbussen an New Yorks Stränden können sich die Strandbesucher ihre Dosis abholen. Der Bundesstaat New York flankiert mit einer Millionen Lotterie. Bis zu fünf Millionen Dollar kann man gewinnen, wenn man sich impfen lässt. Fast 50 Prozent aller New Yorker sind schon vollständig geimpft.
Im Baseball-Stadion der New York Yankees können sich Bewohner*innen des Stadtteils Bronx gegen das Corona-Virus impfen lassen.
Leben im Big Apple nimmt Fahrt auf
Die Restaurants laufen mit voller Kapazität, drinnen wie draußen und viele haben ihre Kapazität sogar noch erhöht. Im vergangenen Jahr, als Bewirtung im Geschäft verboten war, hatte die Stadt den Restaurants erlaubt, öffentliche Flächen auf den Straßen zu nutzen.
Die vielen Tische und kleinen Gasträume auf den Straßen haben das Stadtbild verändert und das wird wohl auch so bleiben, denn die New Yorker haben im vergangenen Jahr das Essen draußen zu schätzen gelernt und werden es sich so schnell auch nicht wieder nehmen lassen.
Auch Geschäfte, Friseursalons, Fitnessstudios, Theater und Museen dürfen wieder vollständig öffnen, sofern sie Social-Distancing Maßnahmen garantieren können. Die U-Bahn, die Hauptlebensader der Stadt, fährt wieder rund um die Uhr.
Eine neue Zeitrechnung
Wie vor der Pandemie staut sich auf dem Weg zu den Flughäfen der Verkehr und in der Rushhour schwört man sich, jetzt aber wirklich zum allerletzten Mal in einem Auto zu sitzen.
Im Botanischen Garten in der Bronx hat eine großartige, lebensfrohe Kusama Ausstellung eröffnet und mit "Little Island", einem Floating Park im Hudson River, ist die Stadt jetzt um eine Attraktion reicher geworden. Noch aber fehlen die Touristen, besonders die aus Übersee. Aber auch die werden bald zurückkommen.
New York hat die Schlacht gegen das Virus nach einem harten Jahr wohl gewonnen. Die hart erkämpfte neue Freiheit wird gefeiert, in Kneipen, Restaurants, in Parks, am Strand, in Sportarenen. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen.