Die Infektionszahlen in Israel sinken, die Impfrate ist hoch und trotzdem liegen so viele Menschen mit schweren Symptomen in den Krankenhäusern wie nie zuvor. Wie kommt das?
1.263 Patienten lagen gestern mit schweren Symptomen auf den Corona-Stationen des Landes. Das ist die höchste Zahl an schweren Fällen in Israel seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Und die Zahl wird noch steigen.
Wie ist das möglich, fragen sich viele Beobachter - beim Impfweltmeister, trotz vierter Impfung, trotz sinkender Infektionszahlen?
Welle hat Höhepunkt überschritten
Wie so oft hilft der nüchterne Blick auf die Zahlen weiter. Zunächst einmal: Dass der Anstieg der schweren Fälle weitergehen würde, hatten die Pandemie-Mathematiker lange vorausgesagt, obwohl die Omikron-Welle schon vor etwa zehn Tagen ihren Höhepunkt überschritten hatte. Und der entscheidende R-Wert auf mittlerweile 0,86 gesunken ist, der eindeutigste Indikator, dass die Welle abebbt.
Täglich mehrere Zehntausend Neuansteckungen
Doch dieses Virus ist anders als seine Vorgänger, im Guten wie im Schlechten. Es ist um ein Vielfaches ansteckender und zugleich um ein Vielfaches ungefährlicher. Es ist so ansteckend, dass es pro Tag noch immer mehrere Zehntausend Neuansteckungen gibt, die Dunkelziffer liegt beim Zwei- bis Dreifachen.
Insgesamt schätzen Experten, dass sich nur in dieser Welle zwischen zwei und drei, am Ende vielleicht sogar vier Millionen Menschen mit Omikron infiziert haben.
Impfschutz gegen Omikron-Variante?
Schützen die Impfungen denn gar nicht? Im Gegenteil - so gut wie nie zuvor. Denn die allermeisten Verläufe sind mild oder mit nicht so schweren Erkältungssymptomen verbunden.
Vergleicht man die Zahl der schweren Fälle mit der Zahl der Infizierten, dann liegt der Schutz vor schwerer Erkrankung bei weit über 90 Prozent. Die meisten Patienten auf den Intensivstationen sind über 60 und viele sind dort nicht nur wegen, sondern mit Corona, haben also Vorerkrankungen.
Und fast alle Patienten in kritischem Zustand an den Ecmo-Maschinen, die den Sauerstoffgehalt im Blut anreichern, sind ungeimpft. Die Zahl der Todesfälle ist mit etwa 900 trotzdem deutlich niedriger als bei jeder anderen Welle zuvor.
Booster-Impfung kein Game-Changer
Natürlich ist jeder einzelne Fall schlimm genug. Und der vergleichsweise glimpfliche Verlauf dieser Welle insgesamt wird die betroffenen Schwerkranken kaum trösten.
Und doch konnten viele Ältere mit der vierten Impfung vor dem Schlimmsten bewahrt werden, auch wenn dieser Booster nicht das Zeug zum "Game-Changer" hat, wie bei der letzten Delta-Welle.
Weniger Ausfälle im Gesundheitssystem
Die Zahl der Schwersterkrankten wird also noch ansteigen, dennoch warnen die medizinischen Experten vor Panikmache. Weil die Welle am Abklingen ist, wird der Anstieg nur noch gering ausfallen.
Und das Hauptproblem der medizinischen Versorgung, Tausende Infizierte beim Pflege- und medizinischen Personal, löst sich ebenfalls langsam auf. Die Zahl der Ausfälle sank in der letzten Woche von 8.000 auf 6.000.
Seit die Zahl der Neuinfektionen in Israel in die Zehntausenden geht, ist die Nachfrage nach Tests explodiert. Seinen Titel als Booster-Vorreiter will das Land verteidigen.
Israel einen Schritt weiter
Dementsprechend geht Israel schon wieder einen Schritt weiter. Seit dieser Woche sind bis auf größere Veranstaltungen fast alle Zugangsbeschränkungen durch "grünen Pass" oder Tests gefallen.
Ohnehin hatte sich die Regierung schon im Dezember entschieden, auch diese Welle ohne größeren Lockdown zu durchschreiten. Mit dem Virus leben - eine risikoreiche Entscheidung. Und doch ist das Land bisher mit jeder Welle besser zurechtgekommen.
Michael Bewerunge leitet das ZDF-Studio in Israel.
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