Neurowissenschaftlerin Urner sagt, dass wir uns dem "Dauerfeuer der schlechten Nachrichten" entziehen müssen, um Corona-Maßnahmen zu ertragen. Außerdem hilfreich: Die "drei N".
ZDFheute: Seit fast zwei Jahren begleitet uns die Corona-Pandemie – und mit ihr die schlechten Nachrichten. Sind die Menschen müde?
Maren Urner: Viele Menschen sind auf jeden Fall müde. Wir sehen auch Wortschöpfungen wie "mütend", der Mix aus müde und wütend. Das hat auch damit zu tun, dass wir erschöpft sind vom Dauerfeuer an schlechten Nachrichten, immer wieder neuen Regelungen und Veränderungen.
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ZDFheute: Was macht eine so lange Zeit der schlechten Nachrichten mit der Psyche?
Urner: Der mediale Fokus auf dem Schlechten bedeutet, dass wir eine Überrepräsentation dessen sehen, was in der Welt schlecht läuft. In der Folge wird unser Weltbild zu negativ, das ist durch Studien gut belegt. Das Gefühl dabei: Die Welt ist schlecht, die "da oben" machen, was sie wollen und wir können nichts daran ändern. Wichtig: Diese Gefühle können entstehen, müssen es aber nicht.
ZDFheute: Als "schlechte Nachricht" verstehen einige die Pandemie, andere die Maßnahmen zur Eindämmung. Woher kommt dieser Unterschied?
Urner: Aus neurowissenschaftlicher Sicht können wir die Welt niemals "wahr"-nehmen. Wir sind in der Lage, Fakten zu erkennen.
Ein Beispiel ist der "confirmation bias", der Bestätigungsfehler. Er besagt, dass wir die Welt immer so interpretieren, dass es in unser bisheriges Weltbild passt. Eine Person, die die eigene Sichtweise teilt, wird positiver wahrgenommen.
ZDFheute: Wie könnte die Kommunikation beunruhigender Nachrichten anders gestaltet sein?
Urner: Wir brauchen mehr Konstruktiven Journalismus. Eine rein-negative Berichterstattung erzeugt ein zu negatives und damit unvollständiges Weltbild. Eine konstruktive Berichterstattung richtet den Blick nach vorn und bietet beispielsweise auch Lösungsansätze an. Die Welt bleibt gleich, aber die Sicht der Menschen ändert sich.
Fokussieren auf Positives, Reflexion am Ende des Tages und das "Annehmen der Situation" wären gut für die Psyche in der Pandemie, so Prof. Michèle Wessa, Psychologin und Resilienzforscherin an der Universität Mainz.
ZDFheute: Was stärkt die Akzeptanz von Einschränkungen?
Urner: Das übergeordnete Ziel sollte sein, die Gefühle von Unsicherheit und Kontrollverlust zu minimieren. Beides mag das Gehirn nicht. Dagegen hilft es, die "Drei N" zu kommunizieren:
Die Notwendigkeit muss transparent werden. Warum ist die Einschränkung notwendig und was wollen wir damit erreichen?
Nachvollziehbarkeit: Wissenschaft ist ein Prozess. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden fortlaufend erweitert und ergänzt. Wir lernen Dinge dazu und passen deshalb Einschränkungen an oder diskutieren neue Regeln.
Nähe schafft Gemeinsamkeit. Suchen wir den kleinsten gemeinsamen Nenner: Wir wollen diese Pandemie besiegen. Dafür brauchen wir als Gesellschaft Ziele: Möglichst viele Menschen sollen überleben, möglichst viele Menschen sollen vor einer schweren Erkrankung bewahrt werden.
In Corona-Zeiten beherrscht Angst zunehmend unser Sein.
ZDFheute: Momentan wird eher die Spaltung diskutiert. Wie würde uns die Gemeinsamkeit helfen?
Urner: Die Psychologie spricht von der "In-Group". Das Gehirn gruppiert automatisch: Wer gehört dazu? Wer nicht? Formulieren wir ein gemeinsames Ziel, dann wirkt es als Motivator, um Einschränkungen und Regeln anzunehmen – und auch andere zu motivieren, das zu tun.
ZDFheute: Was können Menschen tun, wenn sie in ihrem Umfeld oder bei sich selbst Erschöpfung und innere Widerstände spüren?
Urner: Raus aus dem Dauerfeuer aus schlechten Nachrichten!
Im Fall von Nachrichtenkonsum kann das bedeuten, das Smartphone beiseite zu legen. Tageszeiten einzurichten, in denen wir Nachrichten nicht an uns heranlassen. Übrigens hat das nichts mit Ignoranz zu tun. Dieser Modus des Umschaltens ist wichtig, um die Informationen verarbeiten zu können und so besser informiert und handlungsfähig zu sein.
Das Interview führte Isabell Prophet.
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