Angst, Wut und Einsamkeit: Wie sehr verändert Corona unsere Gesellschaft? Welche Fehler aus 2020 dürfen wir 2021 nicht wiederholen? Ein Sozialpsychologe wagt einen Ausblick.
Das Coronavirus wird uns noch lange begleiten. "Wir werden über lange Zeit eine Gesellschaft mit Corona sein müssen", sagte der Frankfurter Sozialpsychologe Rolf van Dick im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Wie gut wir 2021 diese Herausforderung bewältigen, hängt seiner Ansicht nach von vielen Faktoren ab.
"Es gibt Menschen, die sagen sehr stark: Ich bin Herr über mein Schicksal, wenn's Probleme gibt, werde ich damit schon fertig, wer soll's lösen, wenn nicht ich. Und es gibt Menschen, die sagen: Ich kann sowieso nichts machen, mein Leben wird bestimmt vom Schicksal, vom Zufall, von anderen Menschen."
Die erste Gruppe komme mit belastenden Situationen in der Regel besser klar als die zweite. Neben dieser "internen Kontrollüberzeugung" helfe auch eine "adaptive Bewältigungsstrategie", erklärt van Dick. Menschen, die sich an eine neue Situation gut anpassen könnten, blieben in der Regel länger gesund.
Neurotiker in der Krise anfälliger für Depressionen
Solche Persönlichkeitsmerkmale seien größtenteils genetisch bedingt, könnten sich aber durch negative Erlebnisse verstärken. Das gelte auch für Neurotiker, "ein Persönlichkeitszug, der im Alltag nicht unbedingt schlecht sein muss", sagt van Dick. In einer Krise seien das aber die Menschen, "die anfälliger sind für depressive Stimmungen."
Wie gut Menschen mit den Einschränkungen in der Corona-Pandemie klar kommen, hängt van Dick zufolge nicht nur von ihrer Persönlichkeit ab, sondern auch an ihren Lebensumständen. Wer Familie habe oder in einer Wohngemeinschaft lebe, fühle sich weniger eingeschränkt als ein Single ohne viele Kontakte in einer kleinen Wohnung im Homeoffice. "Das sind die, die im Lockdown verzweifeln. Wenn das lang andauert, ist das für diese Personengruppe wirklich schlimm."
Ob Menschen bereit sind, Einschränkungen zum Schutz der Allgemeinheit mitzutragen, liegt van Dick zufolge an der persönlichen "Nähe" zum Thema: "Je nachdem, wie stark man selbst oder enge Kontaktpersonen betroffen sind, wird man die Einschränkungen sinnvoller finden und sie leichter tolerieren. Das ist ein gut belegter sozialpsychologischer Befund."
Pandemie-Maßnahmen müssen gut erklärt werden
Die Akzeptanz habe aber auch damit zu tun, wie gut Politik und Wissenschaft die Zusammenhänge erklären: "Wenn wir Einschränkungen unserer Freiheit als gut begründet und legitim empfinden, können wir sie leichter akzeptieren. Wenn wir uns eingeschränkt fühlen und das nicht nachvollziehen können, lehnen wir uns dagegen auf." Ratschläge von Experten würden nicht mehr universell geglaubt.
Immer mehr Menschen verließen sich allein auf das, was man aus dem eigenen Umfeld und in den sozialen Medien mitbekommt. 2020 hätten Politiker und Experten in diesem Punkt dazugelernt. "Aber sie sind noch nicht so weit, um Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die nicht über die normalen Medien kommunizieren." Wenn es der Politik nicht gelinge, hier besser zu werden, drohe eine Spaltung der Gesellschaft.
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Soziologe: nicht immer Schreckensszenarien beschwören
Bisweilen seien die Belastungen für den Einzelnen schon jetzt enorm: "Es gibt Menschen, die durch die soziale Isolation, aber auch durch finanzielle Sorgen und Nöte ganz verzweifelt sind." Umso wichtiger sei es, auch die positiven Seiten zu sehen und über sie zu berichten. Immer nur Schreckensszenarien an die Wand zu malen - "damit tun wir unserer Gesellschaft keinen Gefallen".
"Menschen sind seit Millionen von Jahren darauf geeicht, negative Botschaften stärker wahrzunehmen", sagt von Dick. "Wir speichern sie länger in unserem Gedächtnis und können sie besser wieder abrufen. Das liegt daran, dass diejenigen ihre Gene weitergegeben haben, die besonders vorsichtig und aufmerksam waren."
Entscheider müssten sich selbst an Regeln halten
Falls 2021 neue, noch weiter gehende Einschränkungen nötig seien, hat van Dick einen Rat: "Wenn wir das Verhalten von Menschen ändern wollen, müssen wir konsequent mit einer Stimme sprechen und können nicht mal so mal so reagieren." Besonders fatal sei es, wenn sich Entscheider selbst nicht an die Regeln hielten: "Dann denken sich die Menschen: Wenn die sich nicht daran halten, muss ich das auch nicht."
Für die Zukunft sagte van Dick: "Man kann nur hoffen, dass die Gesellschaft und insbesondere natürlich auch die Verantwortlichen - die Politiker, die Wissenschaftler - uns auf die nächsten Vorkommnisse besser vorbereiten als wir das diesmal waren."
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