Schon vor Corona waren Termine bei Psychotherapeut*innen rar. Seit Beginn der Pandemie sind die Anfragen erheblich gestiegen. Fünf Therapeut*innen berichten.
Christina Jochim (34), Psychotherapeutin
Aktuell bin ich Behandlerin aber gleichzeitig auch Betroffene. Denn ich leide, wie meine Patient*innen, natürlich auch unter dem Lockdown, auch mir fehlen soziale Kontakte. Das ist eine völlig neue Situation, die wir so aus der Psychotherapie nicht kennen.
Eigentlich sind wir sehr gut geschult darin, Privates und Berufliches zu trennen, doch momentan ist das schwer. Das Problem ist aktuell zudem, dass auf die ohnehin vorhandenen normalen psychischen Belastungen jetzt noch die psychischen Folgen der Pandemie hinzukommen.
Wir haben schon immer mehr Anfragen als Behandlungsplätze - das ist nicht erst seit der Corona-Pandemie ein Problem. Nur jetzt wird dieses Problem sichtbar. Noch nie wurde in unserer Gesellschaft so viel über psychische Krankheiten gesprochen wie in den letzten zwölf Monaten.
Frank Padberg (54), Facharzt für Psychiatrie
Unsere 24-Stunden-Notfallambulanz in der Klinik ist weiterhin geöffnet. Und auch alle anderen Therapieangebote laufen weiter. Trotz des Lockdowns können Menschen mit einer akuten psychischen Erkrankung zu uns kommen.
Natürlich führen wir psychotherapeutische Behandlungen im Rahmen der Hygienevorschriften mit Maske durch, aber wir führen sie durch. Denn viele brauchen jetzt Hilfe. Die Corona-Situation setzt uns allen zu. Auch manche Menschen, die von Haus aus durchaus resilient sind und nie psychische Probleme hatten, zeigen Anzeichen der Belastung.
Es gibt im Lockdown einfach erheblich mehr Stressfaktoren. Unser Angebot ist weitgehend gleich geblieben. Wir mussten zwar einiges anpassen, Gruppentherapien wurden verkleinert, es sind zum Beispiel nur noch sechs statt zehn Teilnehmer*innen in einer Sitzung, oder wir probieren Videoformate aus; doch die Therapien finden statt.
Teilweise arbeiten einige unserer Psychotherapeut*innen im Homeoffice und betreuen parallel ihre Kinder. Sie machen etwa Video-Therapiesitzungen mit Patient*innen, die in Quarantäne sind oder eine weite Anreise haben und zusätzliche Kontakte vermeiden wollen.
Enno Maaß (40), Psychotherapeut
Hier in Ostfriesland waren die Fallzahlen zwar glücklicherweise nicht so hoch wie anderswo in Deutschland, aber dennoch spüre ich eine erhöhte Anfrage. Im vergangenen Jahr konnten die Menschen die Krise noch besser wegstecken, doch seit Jahresbeginn werde ich immer häufiger kontaktiert.
Im Januar hatte ich etwa zehn bis 20 Prozent mehr Anfragen. Und leider kann ich natürlich nicht allen Nachfragen nachkommen. Hier auf dem Land müssen die Menschen ohnehin oft drei bis vier Monate auf einen Therapieplatz warten. Wie lange sie in diesem Jahr warten müssen, ist schwer abzuschätzen.
Als Verhaltenstherapeut auf dem Land therapiere ich Menschen mit unterschiedlichen psychischen Störungen, also beispielsweise mit Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen. Mir fällt auf, dass auch der Alkoholkonsum vieler Menschen in der Pandemie zunimmt. Menschen, die ohnehin schon für Suchterkrankungen gefährdet sind, haben meines Erachtens aktuell ein großes Risiko zu erkranken.
Boris Fahrion (41), Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
Ich habe meinen Behandlungsschwerpunkt auf Menschen mit Behinderung und Intelligenzminderung gelegt. Für Menschen mit einem Handicap war die Versorgung bereits vor der Corona-Pandemie nicht gut ausgebaut. Und jetzt erhöhen sich die Anfragen zudem noch einmal.
Während meine Patient*innen im Oktober vier Wochen auf einen Ersttermin warten mussten, müssen sie nun sechs bis sieben Wochen warten. Und ich spreche hier nur von einem ersten Gespräch, um zu schauen wie dringlich die Lage ist. Auf einen Therapieplatz müssen die Menschen dann bis zu sechs Monate warten.
Gerade für junge Menschen mit einer kognitiven Einschränkung ist die Situation oft schwer aushaltbar. Vor kurzem war eine Elfjährige in einer Video-Therapiesitzung bei mir und hat unter Tränen gefleht, dass sie endlich wieder ihre Großeltern und ihre beste Freundin sehen will. Für sie ist die Isolation einfach schrecklich und unbegreiflich.
Ich spüre, wie sehr der Lockdown meinen Patient*innen zu schaffen macht. Durch die wenigen sozialen Kontakte, die einen Verlust an Lebensfreude mit sich bringen, können verstärkt Rückzugstendenzen auftreten. Dies erhöht insgesamt das Risiko, an einer Depression zu erkranken.
Angelika Enzian (65), Psychoanalytikerin
Die erste Auswirkung der Pandemie war in meiner Praxis, dass ich eine Gruppentherapie nicht fortsetzen konnte. Bis dahin war der Behandlungsraum groß genug, aber die Regeln zum Infektionsschutz kann man in einem Gesprächskreis über zwei Stunden nicht gewährleisten: Abstand halten, Maske tragen, lüften - die Aerosole fliegen, wie sie wollen.
Die Erfahrungen der Teilnehmenden hängen ganz entscheidend von den persönlichen Begegnungen ab. Die Gruppenatmosphäre muss man ganzheitlich erleben, das geht am Bildschirm nicht. Außerdem ist die Vertraulichkeit nicht sichergestellt, wenn jede*r Einzelne sich von Zuhause zuschaltet.
In der Einzeltherapie nutze ich hingegen häufig Videocalls für die Behandlung. Wenn die Patient*innen eine Kamera zur Verfügung haben, funktioniert dieser Weg auch weitgehend. Schwieriger wird es bei Menschen, die keine oder nur veraltete technische Endgeräte zur Verfügung haben. Mit diesen sind dann nur telefonische Kontakte möglich, die Vergütung ist leider viel geringer.
Ich finde, das sollte dringend geändert werden. Mittlerweile führe ich auch wieder vor Ort persönliche Therapiegespräche im klassischen psychoanalytischen Setting mit einer Couch durch. Wir haben Luftfilter für unsere Räume angeschafft und Plexiglasscheiben aufgestellt, um bei den Sitzungen keine Masken tragen zu müssen.
- Wie wir den Zusammenhalt nicht verlieren
Damit die Gesellschaft nicht an Corona zerbricht, kommt es nicht nur darauf an, zu verzeihen. Das sagt Peter Dabrock, Ex-Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Ein Gastkommentar.