Es ist seit Jahren ein bekanntes Problem: Gesetzlich Versicherte warten oft lange auf Therapieplätze bei Psychotherapeuten. Die Pandemie sorgt für noch mehr Anfragen in den Praxen.
Sarah (Name geändert) ist Anfang 30 und steht mitten im Leben, als ein schwerer allergischer Schock und ein Unfall alles verändern. Plötzlich ist eine Angst ihr ständiger Begleiter: Geschäftsreisen werden zum Problem, sie wird häufiger krankgeschrieben. Diagnose: Angststörung.
Rund 30 Psychotherapeuten telefoniert sie ab, aber niemand hat einen freien Therapieplatz. Wartezeit: sechs Monate und länger. "Die gängigste Antwort war: Ich kann Sie auf meine Warteliste schreiben. Und die zweithäufigste Antwort war tatsächlich: Ich habe so viele Anfragen bekommen, musste meine Warteliste schließen, deshalb kann ich Sie leider nicht mehr aufnehmen. Es war unglaublich frustrierend", erzählt Sarah.
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Pandemie sorgt für noch mehr Anfragen
Schon vor der Pandemie war die Nachfrage nach Psychotherapie groß, durch Corona wird sie noch größer. Im Januar 2021 meldeten psychotherapeutische Praxen 40 Prozent mehr Anfragen als im Vorjahreszeitraum, so eine Umfrage der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung.
Psychotherapeutin Johanna Thünker arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis in der Nähe von Bottrop und beobachtet, dass sich mehr Menschen melden, die vorher keine psychischen Probleme hatten. Auf der Warteliste der Praxis standen im Februar 205 Menschen.
Wartezeiten sind bundesweit ein Problem
2017 gab es eine Reform der Psychotherapie-Richtlinie und weitere Veränderungen, die den Zugang zum Psychotherapeuten verbessern sollten. Seitdem gibt es:
- Sprechstunden zur Abklärung, ob eine Behandlung nötig ist
- Akutbehandlung für besonders dringende Fälle
- Terminservicestellen, die Termine für Sprechstunden, Akutbehandlungen und probatorische Sitzungen vermitteln
Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, sagt:
Auch nach der Reform würden gesetzlich Versicherte im Schnitt fünf Monate auf einen Therapieplatz warten.
Seit Jahren Streitthema: Anzahl der Kassensitze
Psychotherapeuten gebe es genügend, aber laut der Bundespsychotherapeutenkammer mangele es an Kassensitzen. Die Rahmenbedingungen, wie viele Ärzte und Psychotherapeuten für die Versorgung von gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen, werden im Gemeinsamen Bundessausschuss (G-BA) mit einer Richtlinie festgelegt, die auf Landesebene umgesetzt und gegebenenfalls angepasst wird.
Die Bundespsychotherapeutenkammer war mit einer Überarbeitung der Richtlinie 2019 nicht zufrieden: "Da geht es viel ums Geld, und da bremsen die Krankenkassen schon sehr stark", so Munz. Der GKV-Spitzenverband hingegen, der im G-BA die Krankenkassen vertritt, spricht von einer "sehr guten Ausstattung" bei der ambulanten Psychotherapie.
Über die Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung wird immer mehr bekannt. Auch psychisch hinterlässt das Virus schwere Schäden - die wurden bisher aber kaum erforscht.
Forderung nach Anpassung der Bedarfsplanung
Warum es trotzdem zu langen Wartezeiten kommt, erklärt Pressesprecher Florian Lanz so:
Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Ärztin und Psychotherapeutin, kennt die Diskussion seit Jahren: "Aus meiner Sicht ist das Entscheidende, dass die Not und der Leidensdruck von Menschen mit einer psychischen Erkrankung immer noch absolut unterschätzt werden. Das ist eine Erkrankung, die man in der Regel nicht sieht, anders als ein gebrochenes Bein." Sie fordert eine erneute Anpassung der Bedarfsplanung.