Querdenker, Impfgegner und Corona-Leugner werden immer radikaler. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty fürchtet bei einer Impfpflicht, dass Proteste noch mehr in Gewalt umschlagen.
Die Szene der Querdenker, Impfgegner und Corona-Leugner ist frustriert: Die bisherigen Proteste gegen Corona-Maßnahmen haben kaum etwas gebracht, stattdessen droht sogar eine Impfpflicht. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty äußert im Gespräch mit ZDFheute die Befürchtung, dass sich die Proteste und die Gewalt, die von der Szene ausgehen, mit der Einführung einer Impfpflicht verstärken. Das sagt Pia Lamberty über ...
... die zunehmende Radikalisierung
Gerade in den letzten Tagen und Wochen habe sich die Szene noch einmal radikalisiert, so Lamberty. Es gebe wieder mehr Demonstrationen, im Alltag gebe es vermehrt Bedrohungen gegen Menschen, die im Supermarkt arbeiten, gegen Bahnangestellte, Ärztinnen und Ärzte.
Gleichzeitig würden auch im Internet die Drohungen immer offenkundiger: Es werde davon gesprochen, dass man sich jetzt wehren müsse gegen das "Regime".
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... die Gründe für die Radikalisierung
Der Hauptgrund sei Frustration, dass die bisherigen Proteste nichts gebracht hätten: In diesem Milieu sei das Narrrativ verbreitet, "man ist zwar die Mehrheit, aber man kann nichts beeinflussen" - und nun rückt auch noch eine Impfpflicht näher.
Die Anhänger von Verschwörungstheorien glauben, "dass da das absolut Böse erschaffen wird. Es ist nicht eine schlechte Regierung, Lobbyismus, Missmanagement, es ist das absolut Böse - beispielsweise eine Regierung, die eine Impfung verabreichen will, die angeblich tödlich ist."
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Die Anhänger dieser Theorie würden sich selbst aber als das Gute betrachten, "als Widerstandskämpfer, als Held". Aus dieser Logik würden sie jede Handlung rechtfertigen können.
Daher äußerte Lamberty Besorgnis über das, was "die nächsten Monate noch kommt".
... die massenhafte Desinformation bei Telegram
Beim Messenger-Dienst Telegram würden genau diese Gruppen das größte Wachstum verzeichnen, in denen es um angebliche Impfschäden geht, erklärt Lamberty. Sowohl von den bekannten Namen als auch von anderen Gruppenmitgliedern würden sich teils "im Minutentakt Falschinformationen darüber verbreiten, wer jetzt alles an der Impfung gestorben wäre oder erkrankt wäre". Da werde ein "massiver Angstraum geschaffen".
... die Rolle der AfD bei den Protesten
Im Verlaufe des vergangenen Jahres habe die AfD mehr und mehr auf die Seite der Proteste geschlagen und die Narrative der Szene aufgegriffen, erklärt Lamberty. Der Einfluss der AfD zeige sich vor allem an der Tatsache, dass dort, wo die AfD sehr stark ist, die Impfquote häufig niedriger sei - dass also "die rechtspopulistische, rechtsextreme Mobilisierung Früchte trägt".
"Wenn man mal zurückblickt in den Osten: In den sogenannten 'neuen Bundesländern' waren die Impfquoten immer höher. Die Impfeinstellungen waren positiver vor der Pandemie. Dass es sich so gedreht hat, das ist erst in der Corona-Pandemie entstanden. Und meines Erachtens ist das die Konsequenz dieser Stimmungsmache."
In Sachsen sind die Inzidenzen zu hoch, die Impfquote zu niedrig. Impfgegner versuchen aktiv Impfungen zu verhindern, indem sie Impfzentren, Kliniken und Praxen attackieren.
... über die Konsequenzen der Einführung einer Impfpflicht
Es gebe eine Gruppe von bisher ungeimpften Menschen, die kein grundsätzliches Problem mit einer Impfung hätten - und für die die Einführung der Impfpflicht sogar eine Erleichterung sein könne: Wer bisher unentschlossen oder wem es nicht wichtig war, der könne dann die Entscheidung, sich impfen zu lassen "auf den Staat schieben - und hat so eine Art Entlastungsfunktion".
Auf der anderen Seite gebe es jedoch die radikalen Impfgegner, die die Impfung als todbringendes Gift ansehen. Diese Menschen zurückzuholen sei für die Gesellschaft schwer. "Da ist es dann wichtiger, eine klare Linie zu ziehen", so Lamberty: Wenn die Polizei bei Demonstrationen nicht eingreife, "das strahlt in diese Szene zurück. Das gibt ihnen Aufwind". Sie hätten dann das Gefühl, im Recht zu sein - und dass die Polizei mit ihnen sympathisiert. So etwas bestärke dieses Denken eher noch als die Bewegung einzudämmen.
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