Schule im Ausnahmezustand, das ist für die Alfred-Adler-Schule in Düsseldorf normal. Hier werden Kinder und Jugendliche unterrichtet, die langfristig erkrankt sind.
In den Sommerferien litt Eva (15) unter starken Bauchschmerzen, ihr Blinddarm war entzündet. Nach der Operation entdeckten die Ärzte Unstimmigkeiten bei ihrem Blutbild und stellten die Diagnose Leukämie. "Ich war total schockiert, denn ich fühlte mich fit, kam gerade von einem Tenniscamp", erinnert sich die Gymnasiastin.
Die ersten beiden Monate nach der Diagnose brachte ihre Mutter sie sechs Mal in der Woche zur Chemotherapie in die Düsseldorfer Uniklinik. Seitdem wechselt Eva zwischen mehrtägigen Klinikaufenthalten und heimischen Erholungsphasen. In ihrer Schule war sie seit der Diagnose nicht mehr. Und ist doch zuversichtlich, dass sie die 10. Klasse nicht wiederholen muss.
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Rechtsanspruch auf Unterricht
Denn die Lehrer ihrer Stammschule kommen zu ihr nach Hause. Darauf haben kranke Schüler nach sechs Wochen einen Rechtsanspruch. Während der Klinikaufenthalte unterrichtet Martina Rauch-Klapheck Eva. Die Lehrerin der Alfred-Adler-Schule organisiert den Kontakt zur Stammschule, bespricht Benotungen und Lehrpläne. Für Eva eine Umstellung:
In dieser Woche schreibt Eva eine Matheklausur - in einem desinfizierten Raum, unter Aufsicht von Rauch-Klapheck, die die Arbeit im versiegelten Umschlag an Evas Mathelehrer schickt. Evas Therapie wird wohl noch zwei Monate dauern, danach wird sie wieder langsam in ihren normalen Schulalltag zurückkehren können.
Ein Lächeln als Unterrichtsziel
Lehrer und Schüler der Alfred-Adler-Schule müssen geduldig sein und flexibel.
erklärt Studienrätin Christiane Brosch. Kürzlich hat sie eine Elfjährige betreut, die einen Schlaganfall erlitten hatte. "Zehn Minuten Unterricht waren für sie eine Höchstleistung, die wir langsam auf 25 Minuten gesteigert haben", erzählt Brosch.
Das 22-köpfige Kollegium der städtischen Schule für Kranke muss den gesamten Stoff aller Stufen und aller Schularten vermitteln können, von der Grundschule bis zum Abitur oder Berufskollegabschluss. Die Lehrer unterrichten an drei Standorten chronisch Kranke ebenso wie Patienten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Kinderonkologie oder auch der Kardiologie.
Oft geht es nur in kleinen Schritten voran. Ein schwerst mehrfachbehindertes Kind fördert Brosch mit Musikinstrumenten, mal sanft beruhigend, mal wild mitreißend. Ihr Ziel ist ein Lächeln: "Wenn das Kind lächelt, weiß ich, dass es etwas spürt. Das ist ein schöner Moment."
Corona bringt Digitalisierungsschub
Strenge Hygienemaßnahmen gehören zum Alltag an der Alfred-Adler-Schule, schon vor Corona. Die Pandemie macht den Unterricht einerseits noch komplizierter, bringt aber andererseits den längst überfälligen Digitalisierungsschub.
"Wir können jetzt über die digitalen Lernplattformen schneller auf das Material der Stammschulen zugreifen, konnten Tablets anschaffen und nutzen das WLAN der Kliniken", erklärt Schulleiter Dietmar Große-Beckmann.
"Wir erleben viel Dankbarkeit"
Die Therapien können sich über Monate und Jahre hinziehen, mit Wechseln zwischen Klinik und zu Hause. Die meisten Kinder und Jugendlichen sind froh über die Möglichkeit, Lernen zu können.
"Wir erleben viel Dankbarkeit", sagt Ursula Flachskamp, die seit fast 20 Jahren für die Alfred-Adler-Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unterrichtet. Ihre Schüler leiden an Psychosen oder an Depressionen, einige sind suizidgefährdet. Schule für Kranke bedeutet für sie Normalität - und steht für das Versprechen, dass es nach der Krankheit eine Zukunft gibt.