Lone Simonsen ist eine der führenden Corona-Expertinnen Dänemarks. Im Interview erklärt sie, warum Dänemark die Regeln wieder verschärft - und was ihr Land Deutschland voraus hat.
Lone Simonsen: Ich denke nicht, dass etwas anders ist, es ist nur eine Anpassung. Es ist weit entfernt von einem Lockdown oder einer geschlossenen Gesellschaft - wir bleiben eine offene Gesellschaft, nur mit Corona-Pass unter bestimmten Umständen. In den vergangenen Monaten sind mehrere Dinge gleichzeitig passiert: Die Delta-Variante ist gekommen, die sich doppelt so schnell ausbreitet und doppelt so schwerwiegend ist. Wir haben geöffnet und der Herbst ist gekommen, sodass wir nicht mehr die Hilfe der Sommersaison hatten.
Die Epidemie läuft etwas schneller, als wir in den Modellen angenommen haben. Aber wir haben hier eine Situation, in der die meisten Dänen über 50 Jahren geimpft sind, es sind 95 Prozent. Daher ist die Gefahr von schwerwiegenden Folgen wie Krankenhausaufenthalten und Todesfällen durch diese Krankheit nicht mehr ernsthaft gegeben.
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ZDFheute: Aber warum steigen die Covid-Fälle und wer ist am schlimmsten betroffen?
Simonsen: Es gibt immer noch Menschen unter 70 Jahren, die noch nicht geimpft sind, und das ist das Problem. Das sind die Menschen, die man jetzt im Krankenhaus sieht. Die andere Gruppe von Personen im Krankenhaus sind ältere Menschen, deren Impfung so lange zurückliegt, dass sie mit einer dritten Dosis aufgefrischt werden müssen. Wenn dieser Prozess weitergeht, werden die Zahlen der Krankenhausaufenthalte zurückgehen. Hier geschieht nichts Unerwartetes. Alles geht nur etwas schneller, als wir dachten.
Außerdem haben wir keinen Impfstoff für Kinder unter 12 Jahren. Wir sehen also Ausbrüche, vor allem bei Kindern zwischen sechs und elf Jahren in Schulen. Die Ansteckungen nehmen also zu. Kinder spielen bei dieser Pandemie eine komische Rolle, sie sind nicht das eigentliche Problem. Das Hauptproblem sind wohl eher die jungen Erwachsenen, die nicht geimpft sind und ins Krankenhaus kommen. Kinder erkranken in der Regel nicht sehr stark an diesem Virus, wie es auch bei anderen Coronaviren der Fall ist. Wir sehen derzeit nur sehr wenige Krankenhausaufenthalte und schon gar keine Todesfälle bei Kindern.
ZDFheute: War es dann nicht ein Fehler, zu öffnen?
Simonsen: Oh, nein. Ich denke, dass Dänemark der Welt gezeigt hat, dass es ein Ende dieser Pandemie geben kann. Und wirklich, wenn man so viele Menschen wie möglich geimpft hat, was kann man dann noch tun? Man muss sich dieser Pandemie stellen, entweder durch eine Erkrankung oder mit dem Schutz durch die Impfung. Und wir haben so viel getan wie möglich. Wir konnten errechnen, dass es nicht mehr zu einer erschreckenden Zahl von Todesfällen kommen kann. Also warum nicht öffnen?
ZDFheute: Werden diese Beschränkungen - die Wiedereinführung des Corona-Passes für Bars, Restaurants und Krankenhäuser - dazu beitragen, die neue Welle in Dänemark zu brechen?
Simonsen: Nun, das Ziel war nie, die Epidemie zu stoppen, sondern vielmehr, Druck auf das Gesundheitssystem zu vermeiden. Wir wussten, dass es eine Epidemie geben würde. Das ist keine Überraschung. Das Problem war nur, wie schnell sie sich ausbreiten würde. In unserer Gruppe an der Universität Roskilde rechnen wir damit, dass das eine 30-prozentige Reduktion Zahl der Infektionen vielleicht um 30 Prozent zurückgehen wird, und das reicht eigentlich aus, um den R-Wert auf eins zu senken, so dass die Epidemie nicht verschwindet, aber die Zahl der Neuinfektionen gleichmäßiger wird.
Ich blicke auf die Zahl der Krankenhausaufenthalte. Und im Moment haben wir etwas mehr als 300 Menschen im Krankenhaus und unsere Schmerzgrenze liegt wahrscheinlich bei 500 bis 800 hospitalisierten Covid-Patienten. Und es wird nicht so lange dauern, bis wir diesen Punkt erreichen. Deshalb hat die Politik gesagt, dass wir das nicht riskieren können.
ZDFheute: Was kann Deutschland in dieser Situation von Dänemark lernen und wie können wir die Welle brechen?
Simonsen: Zunächst könnte Deutschland auf Massentests und den Corona-Pass setzen, letzeres könnte die Menschen zu einer Impfung bewegen. Man sollte Menschen dazu ermutigen, wirklich in Quarantäne zu gehen, wenn sie positiv getestet wurden. Wenn man das effektiv durchsetzt, könnte man 25 Prozent der Infektionen vermeiden. Auf Masken setzt ihr bereits, daran solle Deutschland festhalten. Auch das lässt die Infektionsrate um etwa 25 Prozent sinken.
Vor allem ist es wichtig, Maßnahmen durchzusetzen, wenn man einen Anstieg der Hospitalisierungen beobachtet, weil es einige Wochen, wenn nicht Monate braucht, um diese Entwicklung umzukehren.
Und dann sollten wir alle daran erinnern, dass die Pandemie immer noch im Gange ist und dass wir ein wenig vorsichtiger sein sollten, wenn wir viele neue Kontakte haben. Während dieser Pandemie ist wirklich klar geworden, dass diese Krankheit durch die Luft übertragen wird. Es ist wichtig, die Qualität der Raumluft zu sichern, indem man lüftet und hier alles tut, was man kann.
Ein weiterer Punkt ist, dass Deutschland eine hohe Impfrate hat, aber nicht so eine hohe wie Dänemark: Ich denke, der Schlüssel für Öffnungen, wie wir sie durchgesetzt haben, ist, dass mindestens 90, 95 Prozent der über 50-Jährigen mit zwei oder besser noch drei Dosen geimpft sind. Selbst hier in Dänemark müssen wir die Menschen überzeugen, die noch nicht geimpft sind. Man kann versuchen, die Zahl der Infektionen zu senken, und man kann versuchen, das Risiko, im Falle einer Infektion im Krankenhaus zu landen, zu verringern. Und genau das kann man mit Impfungen erreichen: Wenn Sie noch nicht geimpft sind, sollten Sie sich jetzt impfen lassen. Es ist noch Zeit.
ZDFheute: Was sind die Gründe für die hohe Impfrate in Dänemark?
Simonsen: In Dänemark haben wir großes Vertrauen in Gesundheitsbehörden und unsere Regierung. Da uns gesagt wird, es sei eine gute Idee, sich um unserer selbst willen impfen zu lassen, aber auch, um anderen zu helfen, die nicht auf die gleiche Weise geschützt werden können, tun wir das.
Hinzu kommt, dass wir im Frühjahr und Sommer ein Massentestprogramm durchgeführt haben, das mehr Menschen dazu gebracht hat, sich impfen zu lassen, weil es viel einfacher war als sich zweimal pro Woche testen zu lassen.
Ich denke ausschlaggebend war auch, dass wir beschlossen haben, den Impfstoff von Astrazeneca nicht zu verwenden, nachdem dieser Impfstoff sehr seltene, aber sehr schwere gesundheitliche Folgen haben kann. Ich glaube, dies hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheitsbehörden gestärkt, dass sie sich tatsächlich um uns kümmern, dass sie versuchen, das richtige zu tun und uns zu schützen.
Das Interview führte Nora Liebmann.
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