Förderung von Pandemie-Bekämpfungssystem Sormas endet bald

    Exklusiv

    Bund stoppt Förderung ab 2023:Sormas: Pandemie-Bekämpfungssystem vor Aus

    Nicole Diekmann
    von Nicole Diekmann
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    Das einst als Wunderwaffe gepriesene Corona-Bekämpfungssystem Sormas wird nach ZDF-Informationen ab 2023 nicht mehr vom Bund gefördert. Ein weiteres Kapitel digitalen Versagens.

    Ein Amtsarzt erklärt im Lagezentrum des Gesundheitsamt Mitte eine neue Softwar
    Kontaktpersonen-Management-System SORMAS
    Quelle: dpa

    Sormas - das steht für "Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System", also für: "System für Überwachung, Ausbruchsbekämpfung, Management und Analyse". Und es stand für: "Die Pandemie effizient bewältigen!" So lautete der Slogan, mit dem der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für Sormas warb.
    2020, kurz nach Beginn der Corona-Pandemie, führte Spahn das ursprünglich Jahre zuvor im Kampf gegen Ebola entwickelte System in Deutschland ein - um hierzulande vor allem bei der Kontaktnachverfolgung Zug in die Sache zu bringen.

    Ex-Gesundheitsminister Spahn setzte Sormas-Fördertopf auf

    Der ja durchaus logische Gedanke dahinter: Die deutschen Gesundheitsämter sollten eine zentrale Rolle spielen im Kampf gegen das Virus. Die Idee: Sie alle sollten dafür die Software Sormas-Software anwenden, um einheitlich, über kommunale und Bundeslandgrenzen hinweg vernetzt, effektiv und damit schlagkräftig ausgerüstet zu sein.
    Spahn warb nicht nur, er nahm auch Geld in die Hand und setzte einen Fördertopf auf, damit alle Gesundheitsämter Sormas unentgeltlich nutzen konnten: System, Betrieb, Wartung, Schulung, Support - alles zahlte der Bund. Der langfristige Wunsch: Auch über Corona hinaus sollten die Gesundheitsämter endlich digitalisiert werden.

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    Einführung von Sormas verlief bereits schleppend

    Aber: Der sogenannte Roll-out verlief schleppend. Die Gesundheitsämter wehrten sich gegen Sormas; es sei umständlich, hieß es, es sei aufgrund fehlender Schnittstellen nicht kompatibel mit den bisher genutzten und bewährten Programmen. Außerdem fühlte man sich eher halbherzig im praktischen Umgang mit dem neuen System unterstützt. Bei der Einführung von Sormas bestand der telefonische IT-Support aus lediglich einer Person.
    Dermaßen hartnäckig gestaltete sich der Widerstand, dass die damalige Kanzlerin Angela Merkel das Thema schnell zur Chefinnensache machte und vom bloßen Werben auf sanften Druck umschaltete: Im November 2020 legten sie und die Ministerpräsidenten eine Quote von 90 Prozent fest - so viele der Gesundheitsämter sollten Sormas bis Mitte Januar 2021 installiert haben. Bis Ende Februar alle Gesundheitsämter.

    Gesundheitsministerium beendet Sormas-Förderung

    Nun, zwei Jahre später, ist das Ergebnis ernüchternd, freundlich formuliert. Sormas installiert haben tatsächlich fast alle 375 Gesundheitsämter - nur: Noch immer wenden die Wenigsten die angebliche Wunderwaffe im Kampf gegen Epidemien und Pandemien an, nur etwa 40 Prozent nutzen es.
    Das Projekt eines einheitlichen, digitalen Informationssystems für alle deutschen Gesundheitsämter ist dermaßen krachend und offensichtlich gescheitert. Und so streicht das inzwischen vom SPD-Politiker Karl Lauterbach geführte Bundesgesundheitsministerium seine Förderung nach ZDF-Informationen zum Ende des Jahres.

    Millionen Euro hätten wohl gespart werden können

    Das Ministerium verweist auf ZDF-Anfrage auf SurvNet - und damit groteskerweise auf eines der Systeme, das manche Gesundheitsämter ohnehin als das aus ihrer Sicht bessere propagiert hatten, als sie sich gegen die Nutzung von Sormas wehrten:

    Im Laufe der Pandemie wurde SurvNet um wichtige Funktionalitäten erweitert, die in der Vergangenheit nur Sormas geboten hatte.

    Bundesgesundheitsministerium

    Mit anderen Worten: Man hätte sich mehrere Millionen Euro sparen können, die man in Sormas investiert hat. Und die Gesundheitsämter, die sich die Software haben aufschwatzen lassen, können ab 2023 zusehen, wie sie etwaige Förderungen dafür beantragen können. In NRW beispielsweise war die Anwendung von Sormas die Voraussetzung dafür, Modellregion für Lockerungen zu werden.
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    Weiter digitaler Flickenteppich in Deutschland

    Die kurze und ruhmlose Geschichte von Sormas reiht sich damit ein in eine bereits lange Galerie gescheiterter Digitalisierungsversuche. Der berühmte Flickenteppich existiert damit weiter. Sollte eine nächste Pandemie heraufziehen, sind die Gesundheitsämter wieder nicht technisch gerüstet, um etwa tagelange Verzögerungen bei der Nachverfolgung von Kontakten zu verhindern.
    Auch hier gilt: Viele der Probleme, die Corona schonungslos offengelegt hatte, wurden zwar erkannt, analysiert - aber nicht gelöst.

    Teils "archaische" Strukturen in der Verwaltung

    Und die sind massiv: Im April 2021 kritisierte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in einem Gutachten, dass ein Großteil der hiesigen Gesundheitsämter immer noch mit handgeschriebenen Listen und ausgedruckten Excel-Tabellen arbeiteten und Daten per Fax verschickten, die dann anschließend in den Computer eingetippt würden.

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