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Corona-Impfnebenwirkungen : Charité distanziert sich von Studie

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Ein Professor der Charité will herausgefunden haben, dass schwere Impfnebenwirkungen nach einer Corona-Impfung 40 Mal häufiger vorkommen als offiziell angegeben. Was ist dran?

In einem Impfzentrum erhält ein älterer Mann, der eine Maske trägt, eine Spritze mit dem Corona-Impfstoff Novavax.
Aus Angst vor schweren Nebenwirkungen lassen sich viele Menschen weiter nicht gegen Corona impfen.
Quelle: dpa

Es ist ein brisantes Thema und die Überschriften klingen alarmierend: "Mindestens 70 Prozent Untererfassung bei Impfnebenwirkungen" schreibt Focus. Auch der Mitteldeutsche Rundfunk berichtet in mehreren TV-Beiträgen über eine deutlich Zahl von Impfnebenwirkungen, die Zahl der Komplikationen nach Impfungen sei "40 Mal höher" als offiziell angegeben, schreibt unter anderem auch die Berliner BZ.

Alle Berichte beziehen sich auf eine Studie des Charité-Professors Harald Matthes mit rund 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Matthes ist Stiftungsprofessor für anthroposophische Medizin an der Charité, außerdem Präsident der Deutschen Akademie für Homöopathie und Naturheilkunde.* Er will durch eine Online-Befragung mit Fragebögen nachgewiesen haben, dass bei 0,8 Prozent der Impfungen schwere Nebenwirkungen aufgetreten seien - also bei einem von 125 Geimpften.

Offiziell liegt die Quote von "Verdachtsfällen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen" der Schutzimpfung gegen Corona nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts bei gerade einmal 0,02 Prozent. Die Ergebnisse von Matthes' Untersuchung wurden unter anderem von Impfkritikern und Querdenkern zigtausendfach bei Twitter, Telegram, Facebook geteilt.

Charité distanziert sich von Untersuchung

Doch die Studie offenbart methodische Schwächen, inzwischen hat sich sogar die Charité von ihr distanziert. Charité-Sprecher Markus Heggen teilt auf Anfrage von ZDFheute mit, dass es sich bei der Untersuchung um eine offene Internetumfrage handele und damit nicht um eine wissenschaftliche Studie. "Diese Datenbasis ist nicht geeignet, um konkrete Schlussfolgerungen über Häufigkeiten in der Gesamtbevölkerung zu ziehen und verallgemeinernd zu interpretieren", so Heggen.

Experten kritisieren bei der Methodik unter anderem, dass es keine Kontrollgruppe gibt, also eine Vergleichsgruppe mit Ungeimpften oder Personen, die mit einem Placebo geimpft wurden. "Außerdem kann sich bei der Studie jeder online anmelden, die Identität wird nicht verifiziert, dadurch kann es leicht zu Verzerrungen kommen", sagt der Impfstoff-Forscher Leif-Erik Sander von der Berliner Charité im Gespräch mit ZDFheute.

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"Methodische Schwächen gibt es natürlich in jeder Studie, aber das sollte man schon transparent kommunizieren, gerade wenn man unveröffentlichte Zwischenergebnisse berichtet. Und das wurde es meiner Meinung nach nicht. Die Kommunikation zu dieser Studie stört mich insgesamt mehr als die Untersuchung selbst."

Studie verwendet uneinheitliche Definition

Zudem gibt es Kritik an der Definition dessen, was eine "schwere Nebenwirkung" ist: In der Onlinebefragung wurde eine Nebenwirkung dann als "schwer" eingestuft, wenn der behandelnde Arzt oder die Ärztin die Beschwerden als "potentiell lebensbedrohlich" eingestuft und die Person mindestens drei Tage lang krankgeschrieben hat, erklärt Matthes gegenüber ZDFheute.

Nahaufnahme einer Impfung mit einer Spritze
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Leif-Erik Sander hingegen findet es "problematisch", wenn die Erfassung der Nebenwirkungen einzig auf den Angaben der Teilnehmer basiert und verweist außerdem darauf, dass "schwere Nebenwirkungen" international genau definiert seien - "an solche Definitionen sollte man sich halten, sonst kann man die Ergebnisse gar nicht mit anderen Studien vergleichen". Über eine Befragung ist es tatsächlich kaum möglich, die wirkliche Schwere der Nebenwirkungen zu prüfen - und es ist praktisch unmöglich, die Nebenwirkung kausal mit der Impfung in Verbindung zu setzen.

Online-Studie mit Freiwilligen nicht repräsentativ

Im Wissenschaftsblog des Magazins "Spektrum der Wissenschaft" schließlich wird kritisiert, dass Matthes aus einer Online-Studie mit freiwilligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf die Gesamtbevölkerung zurückschließt. Das sei ein "Fehlschluss": "Studierende der Sozialwissenschaften lernen das im Grundstudium - ein Medizinprofessor oder Journalisten nicht?"

Dass die Studie nicht repräsentativ sein kann, liegt auch daran, dass Minderjährige von der Studie ausgeschlossen sind. Außerdem werden sehr alte Menschen kaum an einer Onlinestudie teilnehmen. Matthes behauptet indessen, seine Untersuchung würde sich mit Studienergebnissen aus dem Ausland decken. Recherchen von "Zeit Online" zufolge ist das jedoch nicht der Fall.

Studie lockt eher impfkritische Teilnehmer an

Zu bedenken sei laut "Spektrum der Wissenschaft" außerdem, "dass Menschen, die Impfungen kritisch sehen oder schwere Nebenwirkungen erfahren, mit höherer Wahrscheinlichkeit so einen Fragebogen suchen und ausfüllen werden als andere". Matthes hält dem entgegen, dass Nebenwirkungen nur gezählt würden, wenn sich die Patienten bereits registriert hatten, bevor diese Nebenwirkungen aufgetreten sind. 

All diese Einschränkungen der Aussagekraft der Untersuchung werden in den eingangs erwähnten Berichten nicht genannt. Matthes jedoch scheinen sie bewusst zu sein. Zu ZDFheute sagt er, die 0,8 Prozent schwerwiegenden Nebenwirkungen bei Impfungen seien "überhaupt nicht in Stein gemeißelt". Man werde nach Abschluss der Studie "genau gucken, wie repräsentativ ist das oder nicht". Seine These jetzt sei aber dennoch, dass es wahrscheinlich eine Untererfassung der schweren Nebenwirkungen gebe.

*Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde am 10.5.2022 um Hintergründe zur Berufspraxis von Harald Matthes ergänzt.

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