Die einen vereinsamen in ihrem WG-Zimmer, andere genießen Online-Vorlesungen auf Gran Canaria: So unterschiedlich erleben Studierende die Online-Uni während der Corona-Pandemie.
Julian Witowski, 23, Gran Canaria: "Vor der Vorlesung noch eine Runde surfen gehen"
Letztes Jahr habe ich meinen Bachelor gemacht und mich aufgrund der schwierigen Job-Lage dazu entschieden, direkt einen Master an der Uni Aachen dran zu hängen.
Als klar wurde, dass das Wintersemester komplett online stattfindet, stand ich vor zwei Optionen: Entweder ich verbringe es bei meiner Familie in meinem Kinderzimmer – oder ich mache was komplett anderes und verreise.
Weil ich Surfen und Angeln mag, habe ich mich für Gran Canaria entschieden. Zu der Zeit waren die Zahlen dort auch superniedrig, also bin ich hin. Studieren von hier aus klappt wunderbar: Ich besuche Vorlesungen, schreibe Klausuren – und springe danach oder davor ins Meer.
Ich lebe jetzt eben hier und halte mich natürlich an die lokalen Corona-Regeln. Sich so einfach aus dem Staub zu machen war wohl eher egozentrisch, weil ich für meine Familie und Freunde in Deutschland nicht wirklich da bin.
Weihnachten wurde dadurch zum Albtraum. Ich wollte unbedingt bei meiner Familie sein, doch Gran Canaria wurde Risikogebiet und ich musste hierbleiben.
Trotzdem würde ich mir wünschen, dass mehr Studenten so was machen. Studieren funktioniert unter diesen Bedingungen total gut! Alles, was ich brauche, ist Internet. Zusätzlich bin ich am Meer und lerne Spanisch.
Natürlich ist es ein Risiko, während einer Pandemie nicht in der Heimat zu sein, aber ich würde es immer wieder so machen. Von daher werde ich auch auf Gran Canaria bleiben, bis die Uni wieder Präsenzlehre anbietet.
Raphael Neidhardt, 19, Köln: "Die Politik ignoriert uns“
Seit einem Jahr habe ich quasi jeden Tag Homeoffice. Studieren ist kein nine to five Job von Montag bis Freitag alleine vor dem Bildschirm. Als Jurastudent gehen meine Vorlesungen auch mal den ganzen Tag. Und auch an den Wochenenden ist Lernen angesagt. Online-Lehre hin oder her: Langfristig kann das keine Lösung sein!
Nur die sind weit und breit nicht in Sicht. Und auch die Politik ignoriert uns. In den MPK-Beschlüssen sind wir bisher mit keinem einzigen Wort erwähnt worden. Dabei sind wir über drei Millionen Studierende!
Gemeinsam mit einem Kommilitonen bin ich jetzt selbst aktiv geworden. Wir haben einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben, in dem wir sie auffordern, uns in die Öffnungspläne miteinzubeziehen.
Außerdem haben wir eine Umfrage unter Studierenden gestartet. Die Ergebnisse der über tausend Teilnehmenden sind zwar nicht repräsentativ, aber zeichnen doch ein eindeutiges Bild: Die Folgen von noch weiteren sechs Monaten Online-Lehre wären nicht mehr nur noch stärkere finanzielle und psychologische Schwierigkeiten, sondern auch das Gefühl, von allen im Stich gelassen zu werden.
Katharina*, 35, Berlin: "Die psychische Belastung ist riesig"
Ich bin die Erste in meiner Familie, die studiert. Für meine Großeltern waren "die Studierten" ein Schimpfwort. Ich war dagegen schon immer neugierig und wusste bereits in der Grundschule, dass ich später mal zur Uni will.
Wenn man aus einer bildungsfernen Familie kommt, ist es wichtig, im Studium vor Ort zu sein. Nur so können wir diese neue Welt verstehen und begreifen, wie gesprochen, diskutiert, sich gekleidet wird. All das fehlt jetzt.
Ich fühle mich nicht mehr als Teil einer Gemeinschaft, sondern als Einzelkämpferin, die den ganzen Tag in ihrem WG-Zimmer verbringt. Arbeit, Freizeit, Studium, Sport:
Für mich ist das besonders belastend, weil ich schon so lange mit psychischen Problemen kämpfe. Das Studium hatte mir eigentlich geholfen, wieder am Leben teilzunehmen.
Jetzt sehe ich den ganzen Tag mein Bett. Wie soll mich das nicht an meine Depressionen erinnern? Das Aufstehen fällt mir von Tag zu Tag schwerer, ich habe zugenommen und meine chronischen Schmerzen sind stärker geworden.
Wenn ich lese, dass alle Studierenden ja so privilegiert seien, ärgert mich das. Dass wir aus Solidarität seit einem Jahr zu Hause sitzen, hat für viele einen hohen Preis. Ich zahle zum Beispiel mit meiner Gesundheit. Da wünsche ich mir mehr Anerkennung.
*Name zum Schutz der Privatsphäre geändert. Richtiger Name ist der Redaktion bekannt.
Cathrin Geist, 28 Jahre, Saarbrücken: "Nicht mehr zwischen Kinderbetreuung und Studium zerreißen."
"Für mich ist seit Corona vieles leichter. Meine Kinder sind drei und fünf, zu den BWL-Vorlesungen oder Tutorien habe ich es deshalb bisher kaum geschafft.
Ich habe also hauptsächlich im Eigenstudium von zu Hause gelernt. Das war nicht immer einfach, denn ich wusste teilweise überhaupt nicht, was für Inhalte dran waren. Mails an Professoren blieben unbeantwortet und ich kannte nicht genügend Kommilitonen, die ich hätte fragen können.
Seit Corona muss ich mich nicht mehr zwischen Kinderbetreuung und Studium zerreißen.
Das hat sich in den Klausuren schon bemerkbar gemacht: Meine Noten sind um einiges besser geworden.
Auch die Kommunikation mit den Professoren hat sich verbessert. Sprechstunden-Termine oder förmliche Mails wurden durch schnelle Teams-Nachrichten abgelöst. Das macht den Austausch sogar persönlicher, weil auch mal ein Dialog zustande kommen kann.
Sicherlich ist es für die meisten Studenten schöner, vor Ort zu lernen. Aber mir hat die Krise gezeigt, dass es eben doch einfacher ist, auf online umzustellen, als vorher immer gesagt wurde.
So können Alleinerziehende oder auch Menschen, die jemanden pflegen, gleichberechtigt am Studium teilhaben.
Studieren während der Krise:
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Der Autorin auf Twitter folgen: @JohannaSagt
Präsenzklausuren in Zeiten von Corona bereiten vielen Studierenden Sorgen. Zum Klausurenstress kommt Angst vor einer Ansteckung dazu.