Die neue Corona-Testverordnung soll auch Betrug verhindern, wird dieses Ziel aber kaum erreichen. Denn das Abrechnungsverfahren ist im Kern unverändert geblieben.
Vier Wochen ist sie alt, die neue Corona-Testverordnung. Ziel war auch, Abrechnungsbetrug mit Corona-Tests zu erschweren: Erhöhte Dokumentationspflichten sollen verhindern, dass Betreiber von Testzentren mehr Tests abrechnen als tatsächlich durchgeführt. Dies ist im Jahr 2021 vielfach geschehen.
Den Gesamtschaden des Bundes schätzt das Landeskriminalamt Berlin auf 1,5 Milliarden Euro. Das gigantische Ausmaß ist ärgerlich genug. Umso mehr schockiert, dass die Ursache des Betrugsproblems fortbesteht - seit der ersten Testverordnung aus dem Frühjahr 2021.
19-Jähriger erschleicht sich 5,7 Millionen Euro mit Tests
Ein Fall aus Freiburg verdeutlicht, wie leicht der Betrug damals war: Ein 19-Jähriger registrierte ein Testzentrum in einer Bar. Hier hatte der Auszubildende den Plan ausgeheckt, der ihm innerhalb von drei Wochen 5,7 Millionen Euro einbrachte, ohne dass er einen einzigen Test durchführte. Die 5,7 Millionen musste er zwar zurückzahlen, aber fast wäre er mit seinem Betrug durchgekommen. Denn erst die Bank machte diese Summe stutzig, weshalb der Fall letztlich vor Gericht landete.
Hier gab es ein mildes Urteil: eine Geldauflage von 1.500 Euro plus eine Bewährung von einem Jahr, danach wird über eine Jugendstrafe entschieden. Die Begründung der Entscheidung verdeutlicht das Problem im Abrechnungssystem nach der Corona-Testverordnung: Maßgebend für das Gericht war die geringe kriminelle Energie, die der Plan des 19‑Jährigen erforderte.
Gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) musste er lediglich die Anzahl der (vermeintlich) abgerechneten Tests angeben, wenige Wochen später bekam er schon das Geld ausgezahlt - ohne Prüfung, ob die Tests wirklich stattgefunden hatten. Eine Rechtspflicht hatte die für die Abrechnung zuständige KV hier nicht verletzt, denn die Testverordnung des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) sah überhaupt keine Prüfung vor.
Lückenhafte Testverordnung ermöglicht Betrug
Flickenteppich bei Tests-Abrechnungsprüfung
Das hat sich im Juli 2021 geändert. In die Verordnung wurde die sogenannte "Abrechnungsprüfung" eingeführt. Diese beinhaltet zwar eine stichprobenartige Überprüfung von Dokumenten und Nachweisen über einzelne Testungen. Zu prüfen waren aber zunächst nur ein Prozent der Abrechnungen - und die übrigen Fälle?
Hier werden die Abrechnungen nur auf "Plausibilität" geprüft. Was damit gemeint ist, wissen selbst die KVen nicht. Unsere Recherchen offenbaren einen Flickenteppich verschiedener Prüfverfahren in Deutschland, der sich seit Juli 2021 herausgebildet hat: Während einige KVen die Abrechnungen allein auf rechnerische Unstimmigkeiten prüfen, nutzen andere sogar algorithmische Verfahren, um Verdachtsfälle zu ermitteln.
- Die Tücken der neuen Corona-Testverordnung
Seit zwei Tagen gelten die neuen Regeln zum Corona-Bürgertest. Viele finden sie verwirrend. Ob jemand Anspruch auf einen verbilligten Test hat, ist kaum zu überprüfen.
Klar ist nur, was die KVen standardmäßig nicht prüfen: Sie dürfen keine personenbezogenen Daten der Getesteten anfordern. Auch eine Übermittlung der Raten positiver Tests ist nicht vorgesehen. Diese Daten erhalten nur die Gesundheitsämter - die wiederum sind aber nicht für die Abrechnungsprüfung zuständig. Welche Daten bekommt die KV dann überhaupt? Letztlich bleibt nur die Anzahl der abgerechneten Tests, mehr müssen die Teststellenbetreiber bei der Abrechnung nicht angeben. Wie so kontrolliert werden soll, ob abgerechnete Tests wirklich stattgefunden haben, bleibt unklar.
Neue Testverordnung behebt Probleme nicht
Daran ändert die neue Testverordnung vom 30.6.2022 nichts. Durch sie werden die kostenlosen Bürgertests für alle abgeschafft - nur wer einen besonderen Grund aufweist (etwa Theaterbesuch, geplanter Besuch einer vulnerablen Person, rote Warn-App), hat Anspruch auf einen Test. Dieser Grund ist zwar vor Ort in der Teststelle nachzuweisen und ggf. ist eine Selbstauskunft zu unterschreiben.
Der bürokratische Mehraufwand könnte helfen, Betrug zu verhindern, wenn die zusätzlichen Dokumente im Rahmen der Abrechnung der KV vorgelegt werden müssten. Doch genau das ist nicht vorgesehen; nur im Rahmen der Stichprobenprüfung (die immerhin auf zwei Prozent angehoben wurde) und im Fall eines konkreten Verdachts darf die KV diese Daten anfordern.
Zuständigkeit für Test-Prüfung weiter unklar
Zudem weigerten sich die KVen in einem gemeinsamen, als solchen bezeichneten "Brandbrief" an das Bundesgesundheitsministerium, die Prüfung der Testgründe zu übernehmen. Welche Behörde Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für die Prüfung vorsieht und was genau zu prüfen ist, ist nach Aussagen des Bundesgesundheitsministeriums gegenüber dem ZDF weiterhin "Gegenstand von aktuellen Gesprächen".
Im Herbst könnten die kostenlosen Tests wiederkommen, spätestens dann müssen die offenen Fragen beantwortet sein. Grundlage dafür wäre eine klare Testverordnung.
Max Kolter ist Rechtsreferendar in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
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