In Corona-Testzentren wird seit Monaten unbürokratisch getestet. Mangelnde Kontrolle könnte ein Einfallstor für Abrechnungsbetrug bieten. Nun ermittelt die Justiz.
Im Netz von privaten Corona-Teststellen in Deutschland scheint es auch schwarze Schafe zu geben. Ein möglicher Abrechnungsbetrug bei Bürgertests zieht immer weitere Kreise, die Justiz ermittelt. Bekannt wurden Verdachtsfälle in Nordrhein-Westfalen und Bayern.
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wollen am Montag in einer Schaltkonferenz über das Thema beraten, wie ein Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Sonntag sagte.
Durchsuchungen im Ruhrgebiet
Auch die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum nahm Ermittlungen auf. Das bestätigte ein Sprecher der Behörde der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf.
Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines in Bochum ansässigen Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe. Anlass der Ermittlungen waren demnach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ).
Wie die Staatsanwaltschaft in Bochum bestätigte, wurden im Ruhrgebiet bereits Geschäftsräume und Privatwohnungen durchsucht. Dabei seien auch Unterlagen beschlagnahmt worden. Den Namen des verdächtigen Unternehmens wollte die Behörde nicht nennen.
Das Kölner Gesundheitsamt befürchtet, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Man habe die große Sorge, dass dies nicht der einzige Fall sei, "sondern dass noch weitere Fälle uns in Zukunft beschäftigen werden", sagte Behördenleiter Johannes Nießen in der ARD.
SPD kritisiert Spahn
Angesichts der möglichen Betrugsfälle nahm auch die politische Debatte Fahrt auf. Die SPD attackierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der Deutschen Presse-Agentur:
Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. "Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden."
Spahn prüft schärfere Kontrollregeln
Der Gesundheitsminister indes pochte auf ein korrektes Vorgehen und sagte, dass er schärfere Kontrollregeln prüfe. "Gerade bei den privaten Dienstleistern (...) braucht es offenkundig noch zusätzliche Kontrollen", sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend dann in der ARD-Sendung "Anne Will.
Spahn hatte zuvor während eines Südafrika-Besuchs gesagt, die "Bürgertests" seien sehr pragmatisch in einer Situation möglich gemacht worden, in der ein schneller Aufbau gewollt gewesen sei. Dabei entschieden die Behörden am Ort über Betreiber von Teststellen wie Ärzte, Apotheker, Rotes Kreuz oder auch private Anbieter. Es sei ausdrücklich vorgesehen, dass die Gesundheitsbehörden entscheiden, wer die Bedingungen erfülle, das auch gut zu machen.
Spahn verwies zudem darauf, dass eine nachträgliche Kontrolle bereits vorgesehen sei. "In der Pandemie muss es manchmal schnell gehen." Anbieter müssten aber damit rechnen, dass Unterlagen bis Ende 2024 überprüft werden können. Ohnehin geplant gewesen sei, die Vergütung angesichts des größeren Angebots auf dem Markt demnächst zu senken.
System lädt offenbar zu Abrechnungsbetrug ein
Seit März sieht die Corona-Testverordnung der Bundesregierung Bürgertests vor. Im April hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) erstmals die Kosten beim Bundesamt für Soziale Sicherung abgerechnet. Die Teststellen erhalten 18 Euro pro Test. In den Monaten April und Mai wurden insgesamt 660 Millionen Euro überwiesen.
Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR lädt das System zum Abrechnungsbetrug ein, da eine Kontrolle fehle. Stichproben hätten etwa an einer Teststelle in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genommener Proben fast 1.000 abgerechnet worden seien. Ähnliches hätten Stichproben unter anderem in Essen und in Münster zutage gefördert. Der Bericht verweist auf mangelnde Kontrollmöglichkeiten seitens der Behörden.
Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei erklärte am Samstag: "Es ist ein gutes Signal, dass die Staatsanwaltschaft Bochum wegen des Betrugsverdachts an Corona-Teststellen Ermittlungen aufgenommen hat. Denn wenn solcher Abrechnungsbetrug tatsächlich vorläge, wären es am Ende die Steuerzahler, die geprellt würden. "Es ist deshalb richtig, dass die Strafverfolgung hier genau hinsieht und konsequent verfolgt."
- Impfung für Kinder bis August "darstellbar"
Werden Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren bald gegen Corona geimpft? Was sind die Voraussetzungen? Gesundheitsminister Jens Spahn im ZDF-Mittagsmagazin.
Gewerbsmäßiger Betrug wird hart bestraft
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte auf Anfrage:
Gewerbsmäßiger Betrug könne nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, sagte der dpa: "Kriminelle Energie kann man wohl nirgends ausschließen. Allerdings sind bei mir bislang noch keine belastbaren Zahlen aufgetaucht."
Da die Zentren die Unterlagen aufbewahren müssten, gehe sie davon aus, dass die Länder zumindest stichprobenartig die Anzahl der abgerechneten Fälle und die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen eingegangenen Abrechnungsunterlagen überprüfen. "Sollten sich daraus Unregelmäßigkeiten ergeben, muss natürlich konkreten Fällen nachgegangen werden."