Corona-Aufarbeitung: Wie kam es zum Betrug mit Testzentren?

    Corona-Aufarbeitung:Wie kam es zum Betrug mit Testzentren?

    von Katja Belousova und Eleni Klotsikas
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    Mehr als 1.200 Verfahren wurden wegen Betrug in Corona-Testzentren eingeleitet. Es entstand ein Millionen-Schaden. Was hat die Betrüger motiviert? Und wo fehlte es an Kontrollen?

    Montage: Hände mit Teststäbchen und -röhrchen, Corona-Maske auf Geldberg
    Während der Corona-Pandemie entstanden im ganzen Land in Windeseile unzählige Testzentren. Das nutzten auch Kriminelle und ergaunerten durch Abrechnungsbetrug Millionen.11.03.2025 | 23:40 min
    Can Hazer wirkt müde, als er an einem Abend Ende Februar den Konferenzraum der Haftanstalt für ein Interview mit frontal betritt. In einer Stadt in Nordrhein-Westfalen verbüßt er eine Gefängnisstrafe von fünfeinhalb Jahren - vor allem wegen falscher Abrechnungen in mehreren seiner ehemaligen Corona-Testzentren. Am Ende stand ein Schaden von 5,3 Millionen Euro.
    "Klar habe ich Scheiße gebaut", erzählt der 40-Jährige und rechtfertigt sich: "Aber irgendwie war man in einem Fluss drin, wo man nicht mehr rauskam. Es war wie so ein Hamsterrad."
    Schulen, Kitas, Geschäfte, Gastronomie, Freizeiteinrichtungen – vor allem während der Lockdowns musste viel in Deutschland schließen. Es gab Abstands- und Kontaktregeln, Quarantäne, Besuchsverbote in Krankenhäusern und Heimen sowie Einreiseverbote.

    Corona-Tests überhöht abgerechnet

    Hazer war vor seiner Haft nicht vorbestraft. Das änderte sich mit der Corona-Pandemie. Anfang 2021 nahmt die Politik viel Geld in die Hand, damit so viele Testzentren wie möglich entstehen konnten. Laut Testverordnung durfte jeder ein Testzentrum eröffnen.
    Hazer wurde vom Gesundheitsamt des Rhein-Erft-Kreises angesprochen, ob er ein Testzentrum eröffnen wolle. Er stimmte zu. Damals war er Geschäftsführer einer Firma für Zahnersatz. Von März 2021 bis Januar 2023 betrieb er 14 Testzentren.

    Man wurde auf einmal gierig, weil man die Beträge auf dem Konto gesehen hat.

    Can Hazer

    Montage: Absperrband um Tische im Außenbereich eines Restaurants, Corona-Maske auf einem Geldberg
    Während der Corona-Pandemie gingen über 70 Milliarden Euro in zahlreichen Hilfsprogrammen an Unternehmen in Not – aber auch an Betrüger, die die schnelle Hilfe eiskalt ausnutzten.11.03.2025 | 15:03 min

    Corona-Abstriche durch Ärzte brachten mehr Geld

    Im Laufe des Jahres 2021 begann er, gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein massenhaft Leistungen zu überhöhten Preisen abzurechnen; indem er vor allem behauptete, dass Corona-Abstriche unter ärztlicher Leitung durchgeführt werden - weil er dafür mehr Geld abrechnen konnte.
    "Unser Mandant hat bei einigen Testzentren angegeben, er hätte Corona-Tests durch Ärzte entnehmen lassen, was jedoch am Ende nicht der Fall war", sagt seine Anwältin Denise Sommer. "Da wurde sicherlich das eine oder andere Auge zugedrückt."

    Wir haben auch Zeugen gehört, die uns das mehr oder weniger deutlich gesagt haben, dass es Anweisungen von oben gab, Teststellen zuzulassen und zu eröffnen und alle Bedenken beiseitezuschieben.

    Denise Sommer, Rechtsanwältin

    Mitte 2024 wurde Hazer vom Landgericht Köln verurteilt.

    Fünf Jahre Corona-Pandemie
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    Einen Demo gegen die Corona-Maßnahmen. Das Banner: "Corona ist nicht gefährlicher als Grippe!" wird hochgehalten.
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    1.200 Ermittlungsverfahren zu Testzentren eingeleitet

    Der Fall Hazer ist einer von vielen in Deutschland: Eine Anfrage von ZDF frontal zeigt, dass bundesweit über 1.200 Ermittlungsverfahren zu Testzentren eingeleitet wurden. "Insgesamt sind bei der Staatsanwaltschaft Köln rund 130 Verfahren aus diesem Bereich anhängig geworden", erklärt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Köln.

    In 18 Verfahren hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. [...] Acht der Anklagen führten inzwischen zu rechtskräftigen Verurteilungen.

    Sprecherin Staatsanwaltschaft Köln

    Testzentren und Corona-Hilfen
    :Corona-Betrug: Über 26.000 Verfahren eingeleitet

    Der Betrug mit Corona-Hilfen und Testzentren beschäftigt die Justiz bis heute. Es bleiben Schäden von mindestens 600 Millionen Euro. Beraterfirmen profitieren derweil.
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    Ein Schild mit der Aufschrift "Corona Testzentrum" ist an einer Pfosten an der Universitaetsmedizin Goettingen zu sehen.
    Exklusiv

    Schaden von zwei Milliarden Euro?

    Antworten aus zehn Bundesländern ergeben, dass der Schaden durch Vergehen im Bereich der Corona-Testzentren bislang auf mindestens 68 Millionen Euro beziffert wird. Eine Zahl, die noch deutlich steigen dürfte. "Nach unseren Recherchen glauben wir, dass ungefähr jeder fünfte Test zu Unrecht bezahlt worden ist", sagt Matthias Warneke vom Deutschen Steuerzahlerinstitut. Er schätzt den Schaden auf rund zwei Milliarden Euro.
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    Fünf Jahre nach der Pandemie zeigt sich: Haben sich Lieferdienste für Lebensmittel bewährt? Sind sie wirtschaftlich tragfähig? Die Gewinner und Verlierer.10.03.2025 | 4:14 min

    Geld zum Teil ins Ausland transferiert

    Deutschlandweit lassen sich Betrugsfälle finden - auch in Berlin. Ende März 2022 verhaftete die dortige Polizei einen "Spätkauf"-Besitzer. Zusammen mit Komplizen hatte er 18 "Spätis" in der Hauptstadt als Testzentren angemeldet und 9,7 Millionen Euro für Tests kassiert, die er zum größten Teil nie gemacht hat.
    Der Hauptbeschuldigte Kemal C. wurde zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hatte ihm sogar dann noch Gelder ausgezahlt, als das Landeskriminalamt wegen Verdachts auf Abrechnungsbetrug gegen ihn ermittelte.
    "Dieses Geld ist ins Ausland transferiert worden", erklärt Jörg Engelhard, Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt Berlin.

    Wir hatten da keine Gelegenheit, die Gelder in adäquater Höhe überhaupt zu sichern.

    Jörg Engelhard, Kriminalhauptkommissar LKA Berlin

    Gedenkfeier zum fünften Jahrestag des Covid-19 Ausbruchs
    Vor fünf Jahren ging Deutschland in den ersten Lockdown. So sollten Neuinfektionen vermieden werden. Soziale Aspekte standen im Hintergrund. Und was ist mit der Aufarbeitung? 09.03.2025 | 3:07 min

    Berlin als Hotspot des Betrugs

    Berlin war Hotspot für Betrüger. Allein in der Hauptstadt gab es über 2.000 Testzentren. Engelhard ermittelte gegen jedes siebte. Die zu laxen Kriterien für die Eröffnung von Testzentren seien ein Einfallstor für Betrüger gewesen, meint er. Es hätte einen "einen wilden Aktionismus" der Behörden gegeben. "Das ganze Testanmeldegeschäft, das lief ausschließlich über das Internet. Da gab es keine richtigen Identitätsverfahren", kritisiert er.
    Laut Testverordnung waren Kommunen und Länder mit der Zulassung von Testzentren beauftragt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen übernahmen die Abrechnungen. Der Bund zahlte alles aus der Steuerkasse - für Bürgertestungen insgesamt 13,5 Milliarden.
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    Kritik: Kein Anreiz zu Kontrolle gewesen

    Doch die Kassenärztlichen Vereinigungen hätten keinen Anreiz gehabt, Abrechnungen zu kontrollieren, kritisiert Mathias Warnecke vom Deutschen Steuerzahlerinstitut: "Die Kassenärztliche Vereinigung hat eine Pauschale bekommen, einen Prozentsatz der abgerechneten Kosten von Bürgertests."

    Je höher die Kosten, je höher die Auszahlungen waren, desto höher war natürlich auch die Vergütung für die Kassenärztliche Vereinigung.

    Mathias Warnecke, Deutsches Steuerzahlerinstitut

    "Wir können immer nur prüfen, wenn wir das dürfen, und dafür brauchen wir einen gesetzlichen Auftrag", entgegnet Detlef Haffke, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. "Es gab keine gesetzliche Grundlage für diese Prüfung, und deswegen haben wir zumindest anfangs nicht geprüft."

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    Corona-Testverordnung im Juni 2021 geändert

    Das führte dazu, dass vor allem Anfang 2021 Millionen an Teststellenbetreiber überwiesen wurden - ohne angemessene Kontrolle. Erst im Juni 2021, nach Bekanntwerden erster Betrugsfälle, verschärfte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Corona-Testverordnung. Ab diesem Moment sollten die 17 deutschen Kassenärztlichen Vereinigung die Plausibilität kontrollieren und "stichprobenartig vertiefte Prüfungen" vornehmen.
    In der Praxis waren "die Plausibilitätsprüfungen, die im Gesetz standen und die wir auch durchgeführt haben, tatsächlich in der Geschwindigkeit gar nicht durchzuführen", sagt Detlef Haffke. "Das war ein ungeheures Tohuwabohu."
    Bisher haben die Kassenärztlichen Vereinigungen laut Bundesamt für Soziale Sicherheit von den Teststellen 170 Millionen Euro für fehlerhafte Abrechnungen zurückgefordert und an den Bund zurückbezahlt.
    Karl Lauterbach setzt nach einer Pressekonferenz zur aktuellen Corona-Lage und zur neuen Kampagne des Gesundheitsministeriums zum Schutz vor Corona seine Maske auf.
    Heute vor fünf Jahren wurde der erste Corona-Fall in Deutschland bestätigt. Die damaligen Maßnahmen werfen bis heute Fragen auf. Was haben wir aus der Pandemie gelernt?27.01.2025 | 1:33 min

    "Es war der größte Fehler meines Lebens"

    Can Hazers Schulden beim Staat betragen noch etwa 1,5 Millionen Euro. "Das ist ein Betrag, der aus unerlaubter Handlung entstanden ist", sagt seine Anwältin Denise Sommer. Auch ein Privatinsolvenzverfahren würde ihn nicht davor bewahren, das zurückzahlen zu müssen.

    Das heißt, unser Mandant hat einiges an Schulden noch vor sich.

    Denise Sommer, Rechtsanwältin

    Heute bereut ihr Mandant seine Tat. "Es war der größte Fehler meines Lebens", sagt Hazer. Fünfeinhalb Jahre Haft - das sei viel. Und doch zieht er Lehren aus seinen Vergehen. "So weiß ich wenigstens, dass ich nie wieder Scheiße baue", sagt er, bevor es zurückgeht - zurück in die Haft.

    Fünf Jahre nach der bisher verheerendsten Pandemie des 21. Jahrhunderts geht ein ZDF-Themenschwerpunkt der Frage nach, was aus der Corona-Pandemie für Lehren gezogen wurden und werden. In der Zeit vom 8. bis zum 21. März 2025 beschäftigen sich sowohl aktuelle Magazinsendungen als auch Doku-Formate mit dem Thema.

    Wir bündeln alle Inhalte auf unserer Themenseite zum Coronavirus.

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