Die Zahl der Corona-Toten bleibt in Deutschland auf einem hohen Niveau - prozentual gesehen sogar höher als in den USA. Warum dieser Vergleich aber hinkt, erklären Experten.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag, dass innerhalb von 24 Stunden 1.013 Menschen gestorben seien, die positiv auf das Virus getestet worden waren. Die Zahl der neuen Corona-Toten pro Kopf liege damit in Deutschland über dem Wert in den USA - und das, obwohl es für die amerikanische Strategie im Kampf gegen das Coronavirus so viel Kritik gab. Woran liegt das? Für den Vergleich zählen noch einige andere Zahlen, sagen Experten.
1. Zeitverzögerung zu den Infektionszahlen
Aktuell sinken die Infektionszahlen - während die Todeszahlen hoch bleiben und weiter um die 1.000 Todesfälle pro Tag schwanken. "Was man immer in Betracht ziehen muss, ist, dass die Zahl der Neuinfektionen und die Zahl der Sterbefälle zwei verschiedene Zeitpunkte betreffen", sagt Christian Strassburg, Direktor der Medizinischen Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Bonn. Jemand, der schwer an Covid-19 erkranke, bleibe dort im Mittel mehrere Wochen, bevor er stirbt.
"Bei den Sterbefällen hinken wir den Infektionsfällen etwa zwei bis drei Wochen hinterher", sagt Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Im Moment sehe man die Sterbefälle der Neuinfektionen vom Jahreswechsel - da waren auch die Infektionszahlen sehr hoch.
2. Altersstruktur in Deutschland
Ein Grund für die relativ hohe Corona-Todeszahlen in Deutschland ist der relativ hohe Anteil an älteren Menschen, die erkrankten: In den vergangenen Wochen lag der Anteil der Über-85-Jährigen bei den Neuinfektionen laut Altersanalyse des RKI bei vier bis sechs Prozent. In den USA fällt der Anteil deutlich geringer aus - hier macht diese Altersgruppe laut Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nur 2,5 Prozent der Infizierten aus.
Aber wieso erkranken in Deutschland mehr alte Menschen? Laut Strassburg habe das auch viel mit der Altersstruktur in Deutschland zu tun. "Ein besonderes Problem in Altenheimen kann man daraus nicht zwangsläufig ablesen", sagt er. In Deutschland ist der Anteil der Über-85-Jährigen an der Bevölkerung mit ungefähr 3,7 Prozent relativ hoch, in den USA ist der Anteil niedriger. Allein das spiele als Einflussgröße eine große Rolle und mache den Vergleich der Zahlen schwierig.
3. Schwankungen durch die Teststrategie
Das Problem sei generell, dass man den Anteil der Toten an den Neuinfektionen nur schwierig mit anderen Ländern oder Zeitpunkten vergleichen könne, sagt Strassburg. Dazu gebe es einfach bei den Messungen zu viele Abweichungen und Schwankungen. "Im Frühjahr 2020 war der Anteil der Toten im Vergleich zu den Neuinfektionen in Deutschland zum Beispiel geringer", erklärt er. Gerade am Anfang habe man vermehrt jüngere Menschen - zum Beispiel bei Karnevalsveranstaltungen - getestet. Viele leicht Erkrankte seien da erfasst worden.
Mit Ausbrüchen in Altenheimen habe man dann vermehrt zusätzlich auch alte Menschen getestet. "So entstehen Schwankungen", sagt Strassburg. In den USA dagegen gebe es keine richtige Teststrategie - es wird einfach sehr viel getestet. "Das ist ein möglicher Verzerrungsfaktor, sodass man aus medizinischer Sicht diesem Vergleich des Anteils der Toten an den Infizierten keine absolute Bedeutung zumessen kann", sagt Strassburg. Ein Versagen des deutschen Gesundheitssystem sei also keinesfalls daran abzulesen.
4. Weitere statistische Unschärfen
Das Team des Instituts für Rechtsmedizin am UKE beschäftigt sich seit Beginn der Pandemie im März 2020 intensiv mit den postmortalen Untersuchungen der Corona-Toten. Auf lange Sicht gesehen liege der Anteil der Todesfälle in Deutschland bei knapp unter zwei Prozent in Bezug auf die Menge an positiv auf Sars-CoV-2 getesteten Personen - nur wenig höher als aktuell in den USA. "So systematisch wie hier in Hamburg hat die Sterbefälle niemand anderes untersucht - und wir bleiben in der 2. Welle immer annähernd bei dieser Zahl", sagt er.
Am UKE wurde auch untersucht, wie viele Patienten nicht an, sondern mit Corona sterben - und anderswo trotzdem zu den Todesfallzahlen gerechnet werden. Diese Unschärfe mache ungefähr fünf bis sieben Prozent aus. Hinzu komme, dass das Meldesystem für Corona-Tote weltweit nicht überall identisch sei. "In Deutschland gibt es ziemlich wenig Fehler - für andere Länder kann ich das nicht beurteilen", sagt er. Den Unterschied bei dem Anteil an Toten zwischen USA und Deutschland hält auch er für nicht so signifikant, als dass er nicht auch dadurch erklärt werden könnte.
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