Vergleiche mit dem Nationalsozialismus in der Corona-Auseinandersetzung: Wie geht man mit Äußerungen um, die die Geschichte relativieren?
Sogenannte Querdenker, die sich mit Sophie Scholl vergleichen oder auf Demos den gelben Judenstern tragen: Immer wieder tauchen in der Corona-Auseinandersetzung Nazi-Vergleiche auf. Professor Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, hat sich mit einem Studenten auseinandergesetzt, der in einem Seminar der Universität das Tragen der Corona-Zutrittsbändchen mit dem zwangsverordneten Tragen des gelben Judensterns im Nationalsozialismus verglich.
Einerseits findet eine Selbstzuordnung als Jude bei den Gegnern der Corona-Maßnahmen seit Beginn der Pandemie häufiger statt. Andererseits wird den Demonstrierenden zum Teil pauschal vorgeworfen, sie alle seien "Corona-Nazis". Mendel erklärt im Gespräch mit ZDFheute, was man solchen Äußerungen entgegensetzen kann.
ZDFheute: Ist es wichtig, auf solche Vergleiche zu reagieren?
Meron Mendel: Es ist wichtig, spezifisch auf die jeweilige Situation zu reagieren. "Nazi-Vergleiche" auf einer "Querdenker-Demo", also im öffentlichen Raum bei einer politischen Veranstaltung, sollten aus meiner Sicht rechtlich unterbunden werden.
Kommt ein solcher Vergleich aber im privaten Rahmen im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis vor oder – wie in meinem Fall – im Rahmen eines Hochschulseminars und wenn keine agitatorische Absicht erkennbar ist, sollte man erst einmal mit Gegenargumenten versuchen klar zu machen, dass die Corona-Politik mit der Judenverfolgung im Nationalsozialismus nicht gleichzusetzen ist.
ZDFheute: Wie kann der oder die Einzelne im Gespräch damit umgehen?
Mendel: Es gibt keine allgemeingültige Strategie für den Umgang mit Nazi-Vergleichen.
Ich empfehle, erst einmal herauszufinden, was hinter der einzelnen Äußerung steht. Wenn sich herausstellt, dass die Person ein geschlossenes Weltbild und eine gefestigte Ideologie hat, ist es unwahrscheinlich, dass man noch eine Meinungsänderung erwirken kann. In dem Fall geht es darum, der Person und weiteren Anwesenden zu signalisieren, dass die Äußerung nicht akzeptabel ist. Hier ist in der Regel eine konfrontative Strategie angemessen.
In Freiberg gab es zahlreiche immer radikalerer werdende Proteste gegen Corona. Die Freiberger Initiative "Freiberg für alle" will ein Zeichen setzen und stellt sich gegen diese Tendenzen.
Wenn aber der Eindruck entsteht, dass der Nazi-Vergleich eher unbedacht geäußert wurde oder als Provokation diente, sollte man ruhig und sachlich mit den historischen Fakten argumentieren.
Dabei sollte man – soweit es geht – versuchen, das Gegenüber nicht direkt anzugreifen, nicht persönlich zu werden und auf der Beziehungsebene zu signalisieren, dass der andere einem wichtig ist.
ZDFheute: Welche "Leitlinien" helfen, nicht in die Konfrontation zu kommen, sondern im Gespräch zu bleiben?
Mendel: Gerade wenn Nazi-Vergleiche in der Familie oder im engeren Bekanntenkreis geäußert werden, ist es wichtig, die Beziehung mit der Person nicht abzubrechen und ihr zu signalisieren, dass nicht ihre Integrität, sondern ihre Meinung kritisiert wird. Idealerweise sollte man sachlich mit Fakten argumentieren, ohne den anderen moralisch zu verurteilen.
Solche Fragen können dann eine Selbstreflexion bei der Person über eigenen Aussagen anregen und weitere Blickwinkel eröffnen: Wie kommst du auf diesen Vergleich? Was weißt du über die Nazi-Zeit? Siehst du auch Unterschiede zur Nazi-Zeit? Was möchtest du mit einem Nazi-Vergleich erreichen?
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ZDFheute: Inwieweit glauben Sie, dass Menschen, die solche Vergleiche ziehen, auch tatsächlich eine rechte Gesinnung haben?
Mendel: Es gibt sicherlich eine Korrelation zwischen rechter Gesinnung und der Bereitschaft, Nazi-Vergleiche zu ziehen. Es ist kein Zufall, dass gerade AfD-Politiker regelmäßig Gleichsetzungen einer angeblichen "Merkel-Diktatur", die sie in unserer demokratisch verfassten Gesellschaft verwirklicht sehen, und dem NS-Regime vornehmen – es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis man die Parolen aktualisiert und Empörung über die "Scholz-Diktatur" die Runde macht.
Diese Art des Geschichtsrelativismus wurde schon vor der Covid-19 Pandemie propagiert, nicht nur von Rechten. So sprechen beispielsweise radikale Tierschutz-Aktivisten seit Jahren von "Hühner-KZs" und "Auschwitz der Tiere".
Neu ist die Verbreitung von Nazi-Vergleichen in breiteren Kreisen der Gesellschaft, jenseits von rechten oder radikalen aktivistischen Milieus. Zudem zeigen Ereignisse wie der Tankstellenmord in Idar-Oberstein und aktuelle Studien, dass eine erhöhte Gewaltbereitschaft zu erwarten ist, sich gegen die vermeintliche Diktatur zur Wehr zu setzen und aus Worten Taten folgen zu lassen.
Die Fragen stellte Susanne Gindorf-Litz aus der ZDFheute-Redaktion.
- Aktion gegen das Holocaust-Vergessen
Am 27. Januar ist internationaler Holocaust-Gedenktag. Im Crowdsourcing-Projekt #everynamecounts werden Dokumente von Millionen NS-Verfolgten digitalisiert - auch von Freiwilligen.