Sind mehr Impf-Booster nötig oder reicht Omikron, um Immunität aufzufrischen? Wann kommen an Varianten angepasste Impfstoffe? Ein Ausblick in die Impfstrategie der nächsten Monate.
Gerade steckt Deutschland mitten in der Omikron-Welle, doch Impfstoff-Experten denken bereits an die Zeit danach. Wie könnte die Impfstrategie in einigen Monaten aussehen und was wird aus den angekündigten Impfstoffen, die an Omikron und andere Varianten angepasst sind?
Macht die Omikron-Welle weitere Impfungen unnötig?
Omikron hat ein geringeres Risiko für schwere Krankheitsverläufe als die Delta-Variante. Dass man deshalb auf Impfstoffe verzichten und die Bevölkerung in kurzer Zeit durch natürliche Infektionen immunisieren könne, sei eine "Illusion" sagt Leif Erik Sander, Leiter der Impfstoffentwicklung an der Berliner Charité, im Gespräch mit dem "Science Media Center":
Vor allem die Immunitätslücke der noch ungeimpften Personen sei ein Problem. Sander fürchtet in so einem Fall weiterhin einen Zusammenbruch von Gesundheitssystem und kritischer Infrastruktur.
"Beim Schutz vor schweren Erkrankungen machen die Impfungen weiterhin einen Riesenunterschied", sagt Leif Erik Sander, Leiter der Impfstoffforschung an der Charité Berlin.
Braucht die gesamte Bevölkerung bald eine vierte Impfung?
Hier plädiert Sander für eine differenzierte Strategie. Wer bereits eine gute Grundimmunisierung mit drei Impfdosen hat und wer kein erhöhtes Krankheitsrisiko besitzt, für den könnte der Kontakt mit Omikron als weitere Auffrischung ausreichen.
Von einer vierten Impfung der gesamten Bevölkerung halte er darum auch gerade wenig. Und bei Hochrisikopatienten seien das "immer individuelle ärztliche Entscheidungen". "Aber das ist jetzt nichts, was man der allgemeinen Bevölkerung empfehlen sollte. Ich glaube, mit drei Impfungen ist man super geschützt", betont Sander.
Bei Risikogruppen wie alten Menschen müsse man weiterhin schauen, wie viele Booster via Durchbruchsinfektion man zulassen könne - oder ob hier mit angepassten Impfstoffen regelmäßig aufgefrischt werden muss, so Sander.
Sind Booster-Impfungen für Kinder nötig?
"Hier muss man schauen, wie alt die Kinder sind", sagt die Virologin Ulrike Protzer von der TU München mit Blick auf Auffrischungsimpfungen bei Minderjährigen.
Im jugendlichen Alter ab 16 Jahren nehme dieses Risiko zu. Man müsse also schauen, wo die Notwendigkeit zu boostern hoch sei. "Ich aus meiner persönlichen Sicht sehe jetzt keinen Bedarf, Kinder zwischen fünf und elf Jahren mit einer Booster-Impfung zu versehen", sagt Sander. Es gebe erste Studien und Daten, die zeigten, dass zwei Impfungen eine gute Schutzwirkung auch gegen das PIMS-Syndrom und Long Covid hätten.
Beide Experten sind sich einig, dass besondere Faktoren wie schwere Vorerkrankungen eine Auffrischung auch bei Kindern sinnvoll machen kann.
Wann kommen die an Varianten angepassten Impfstoffe?
Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), rechnet damit, dass im zweiten Quartal erste klinische Studiendaten der Hersteller zu angepassten Impfstoffen vorliegen werden. Danach soll es schnell gehen:
Deren Zulassung könnte zügig ablaufen: "Wenn die Variantenimpfstoffe im Grunde auf dem Impfstoffkonzept der bereits zugelassenen parentalen Impfstoffe beruhen, brauchen wir eigentlich nur eine kleinere weitere klinische Prüfung", erklärt Cichutek gegenüber dem "Science Media Center".
Laut Cichutek eine Herausforderung: Wann der Großteil der Impfstoff-Produktion auf die angepassten Vakzine umgestellt werden soll - das könnte vorübergehend Kapazitäten verringern. "Vieles spricht dafür, dass das vielleicht von der WHO ausgehen sollte." Eine entsprechende Arbeitsgruppe habe sich dort schon gebildet, so Cichutek.
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Helfen die angepassten Impfstoffe auch gegen zukünftige Varianten?
Die Sorge, dass die Impfstoffe dem Virus immer einen Schritt hinterher sind, kann die Virologin Ulrike Protzer von der TU München teilweise entkräften. "Die Veränderungsfähigkeit des Virus ist limitiert", sagt Protzer. "Viele Variationen, die entstehen, sind für das Virus tödlich." An manchen Stellen habe es die Fähigkeit, sich zu verändern, an anderen nicht. So können Impfstoffe zukünftige Varianten bereits teilweise antizipieren.
Je mehr der Körper mit Impfungen oder Erregern in Kontakt komme, desto breiter werde die Immunantwort. Das ist ein Grund, warum zusätzliche Impfungen nicht nur die Menge der Antikörper gegen das Virus auffrischt, sondern auch deren individuelle Qualität verbessert. Das hilft sogar bei einer Variante wie Omikron, die für ihre Fähigkeit zur Immunflucht bekannt ist.
"Wenn ich aber mehrfach Kontakt hatte, und das habe ich zum Beispiel nach drei Impfungen oder wenn ich zwei Impfungen und eine Durchbruchsinfektion hatte, dann wird meine Immunantwort immer breiter und dann kann ich auch so neuere Varianten noch erkennen", erklärt Protzer. Dieses Prinzip kann auch bei zukünftigen Varianten greifen.
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