Während bis vor Kurzem die Zahl an Corona-Neuinfektionen täglich stieg, geht die Sieben-Tage-Inzidenz seit einigen Tagen zurück. Woran das liegt - und ob der Trend anhält.
Der morgendliche Blick auf die Corona-Zahlen macht derzeit vielen Menschen Hoffnung. Nachdem seit Anfang Juli die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland kontinuierlich gestiegen war, kann seit einigen Tagen ein allmählicher Rückgang des Infektionsgeschehens beobachtet werden.
Am vergangenen Freitag lag der Wert bei 11.022 Corona-Neuinfektionen, fast 2.000 Fällen weniger als in der Vorwoche. Bedeutet dies, dass die Trendwende geschafft ist? Gilt die vierte Welle gar als durchbrochen, bevor sie - wie von Politik und Wissenschaft prognostiziert - richtig Fahrt aufgenommen hat? Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Der Schein trügt - und auch Virolog*innen warnen.
Die Inzidenz sinkt – vor allem im Westen
Zwar sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz im Bundesdurchschnitt tatsächlich seit Samstag letzter Woche. Allerdings fallen hier besonders die Zahlen aus den westdeutschen Bundesländern ins Gewicht, während in Teilen des Ostens der Bundesrepublik die Inzidenzen wieder deutlich ansteigen, wie der Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts verdeutlicht:
- Demnach fiel der Wert in Nordrhein-Westfalen in der zweiten Septemberwoche um 14 Prozent, in Schleswig-Holstein um 15 Prozent und im Saarland um 26 Prozent.
- Im Vergleich zur ersten Septemberwoche stieg die Sieben-Tages-Inzidenz hingegen in Sachsen-Anhalt um 17 Prozent, in Brandenburg um 19 Prozent und in Sachsen und Thüringen jeweils um 40 Prozent.
Infektions-Faktor Nachbarstaaten
Insgesamt liegen die registrierten Sieben-Tages-Inzidenzen im Osten damit zwar meist weiterhin auf einem deutlich niedrigeren Niveau als im Westen - dennoch sind die rasanten Sprünge nach oben auffällig. Ein Grund hierfür könnte in den jeweils angrenzenden Ländern liegen, wie Virologin Viola Priesemann der Nachrichtenagentur dpa bestätigt.
So sorge die Mobilität in den Grenzregionen dafür, dass sich Anrainerstaaten bei der Inzidenz angleichen. Und während in den westlichen Nachbarländern die Werte seit kurzem massiv zurückgehen – allen voran in Frankreich, steigen besonders in den südöstlichen Nachbarstaaten die Inzidenzen allmählich wieder an, wie die europäischen Corona-Zahlen zeigen:
Warum die Zahlen in Deutschland zurückgehen
- Virologe Martin Stürmer von der Universität Frankfurt sieht im Gespräch mit dem ZDF einen Grund in der abebbenden Zahl an Reiserückkehrern. Seit Anfang September sind die Ferien in allen Bundesländern vorbei, die Zahl an Ansteckung im Ausland sinkt. Das zeigen auch die Zahlen des RKI: Wurden Ende August noch fast 9.000 Übertragungen im Ausland gemeldet, lag der Wert in dieser Woche bei rund 3.000 Fällen.
- Gleichzeitig kam den Schulen nach den Sommerferien eine große Bedeutung am Infektionsgeschehen zu. In vielen Bundesländern seien nach den Sommerferien zunächst die Infektionszahlen bei Schüler*innen durch die Verpflichtung zu Tests "explosionsartig angestiegen", erklärt Pharmazieprofessor Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes gegenüber ZDFheute. Diese Zahlen würden jetzt wieder deutlich zurückgehen.
- Ebenfalls hätten vereinzelt strengere Maßnahmen der Länder und Kommunen, um das Infektionsgeschehen besser kontrollieren zu können, vielerorts und das bessere Wetter ihre Wirkung entfaltet, ist sich Martin Stürmer sicher.
Die Impfkampagne stockt - die Corona-Infektionszahlen steigen an. Um die vierte Welle abzuschwächen, soll die 3G-Regel helfen, oder doch 2G? Experten sind sich uneinig über den Umgang mit Ungeimpften.
Forschung einig: Zahlen werden wieder steigen
Ist die vierte Pandemie-Welle in Deutschland also schon gebrochen? "Nein", mahnt der Frankfurter Virologe. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir die vierte Welle überwunden haben. Ich kann mir mit dem Blick auf die kommende kühlere Jahreszeit nicht vorstellen, dass das schon das Ende gewesen sein soll."
Der befürchtete Anstieg dürfte auch aus Thorsten Lehrs Sicht durch den Einfluss der Jahreszeit deutlich verstärkt werden. Habe die Saisonalität im Frühjahr und Sommer noch als "Rückenwind" bei der Reduktion der Infektionen gewirkt, werde sie ab Oktober wohl wieder zum "Gegenwind".
Wie es also mit der Pandemie weitergeht? Martin Stürmer ist sich sicher: "Das steht und fällt, wie wir mit dem Impfen vorankommen." Und auch Thorsten Lehr macht deutlich: "Wir sollten diese Ruhephase vor einem potentiellen Sturm dringend zur Impfung nutzen."
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