Wieder eine neue Corona-Variante, diesmal aus Indien. Sie verbindet mehrere Mutationen, die Forschern Sorgen bereiten. Ob sie gefährlicher ist, lässt sich noch nicht klar sagen.
Indien entwickelt sich zum neuen Hotspot der weltweiten Corona-Pandemie. Mehr als 200.000 Neuinfektionen werden aktuell täglich registriert, mehr als 15 Millionen sind es landesweit seit Beginn der Krise. Auch die Zahl der täglichen Todesfälle steigt wieder.
In diesem Umfeld passiert das, was überall auf der Welt schon passiert ist, wenn es zu vielen Neuansteckungen gekommen ist: Das Coronavirus hat sich verändert, ist mutiert. B.1.617 haben Wissenschaftler die Variante getauft, und sie weckt große Sorgen. "Experten warnen vor Super-Mutation", schreibt eine Zeitung, "In Indien bahnt sich Covid Katastrophe an", twittert SPD-Gesundheitsexperte und wandelndes Corona-Lexikon Karl Lauterbach.
Ob die Ängste begründet sind, muss sich erst noch zeigen.
Welche Mutationen verbindet B.1.617?
Die Variante B.1.617 trägt zwei Mutationen des Spike-Proteins in sich, dies ist der wichtigste Türöffner für das Sars-CoV-2-Virus, um neue Menschen zu infizieren. Diese Mutationen sind bereits aus anderen besorgniserregenden (Variant of Concern) oder unter Beobachtung stehenden Linien (Variant of Interest) bekannt:
- Die Mutation L452R ist auch in der kalifornischen Variante B.1.429 zu finden und wurde auch in einer in Deutschland zirkulierenden Linie nachgewiesen.
- Die Mutationen E484Q/E484K findet sich in der südafrikanischen Variante B.1.353 und der brasilianischen Variante P.1. In wenigen Fällen konnte es auch in der britischen Variante B.1.1.7 nachgewiesen werden sowie in den in Deutschland zirkulierenden B1.525-Viren.
Nun wurden diese Mutationen zum ersten Mal zusammen in einer Variante entdeckt.
Die Corona-Lage in Indien spitzt sich weiter dramatisch zu. Das Land verzeichnet 234.692 Neuinfektionen innerhalb eines Tages - dabei handelt es sich nur um die registrierten Fälle.
Woher kommen die Sorgen vor der neuen Variante?
Die Variante B.1.617 breitet sich den indischen Daten zufolge sehr schnell aus. In dem stark betroffenen Bundesstaat Maharashtra ist sie bereits für über 60 Prozent der neuen Corona-Erkrankungen verantwortlich und hat die britische Variante damit zurückgedrängt. Die Variante scheint also ebenfalls ansteckender als der Virus-Wildtyp zu sein.
Die beiden Mutationen der Variante werden außerdem "mit einer reduzierten Neutralisierbarkeit durch Antikörper oder T-Zellen in Verbindung gebracht, deren Umfang nicht eindeutig ist", erklärt das Robert-Koch-Institut (RKI) auf Anfrage von ZDFheute. Es könne also sein, dass auch geimpfte Personen sich anstecken und auch der Immunschutz einer durchlaufenen Erkrankung nicht vor einer erneuten Infektion schützt.
Zu wenige Sequenzierungen in Indien
Für Dr. Jeffrey Barrett ist B.1.617 "nicht so gefährlich wie andere Varianten", etwa aus Brasilien, Südafrika oder Großbritannien. Er ist Direktor der Covid-19 Genomics Initiative am Wellcome Sanger Institute.
Ein Problem sei: In Indien wird bisher nur sehr wenig sequenziert. In dieser Welle seien bisher nur etwa 1.000 Sequenzen von etwa 4 Millionen Fällen in Indien veröffentlicht worden. Insgesamt sind es von den über 15 Millionen Fällen nur 0,052 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland wurden fast 63.000 bzw. zwei Prozent der Fälle auf diese Weise untersucht. Der plötzliche Anstieg der B.1.617-Fälle kann also auch damit zusammenhängen, dass nun mehr untersucht wird.
Außerdem habe man die Variante bereits im letzten Jahr entdeckt. "Wenn es die Welle in Indien antreibt, hat es mehrere Monate gedauert, bis dieser Punkt erreicht ist, was darauf hindeutet, dass es wahrscheinlich weniger ansteckend ist als die britische B.1.1.7-Variante", erklärt Barrett.
Ist B.1.617 bereits in Deutschland angekommen?
Ja. In Deutschland sind insgesamt acht aus dem März stammende Sequenzen der Linie B.1.617 identifiziert worden, berichtet das RKI. In Großbritannien wurden nach Angaben vom Sonntag bisher 77 Fälle dieser Variante entdeckt.