Im Frühjahr soll es besser werden, einen Corona-Winter müssen wir aber noch durchstehen. Er könnte ähnlich heftig werden wie der letzte, meint Modellierer Thorsten Lehr.
"Wir gehen von einem Zeitraum von zwei Jahren aus." Diese Einschätzung zur Corona-Pandemie hat der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, bereits Mitte März 2020 geäußert. Kurz nachdem zum ersten Mal Schulen und Kitas geschlossen wurden. Es deutet vieles daraufhin, dass Wieler recht behält. Das bedeutet aber auch, dass uns noch ein Winter mit dem Virus bevorsteht. Wie wird er aussehen?
Corona: Infektionszahlen steigen aktuell wieder schneller
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt aktuell wieder schneller. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete für heute 6.573 neue Positiv-Tests. Das sind 2.517 mehr als am Montag vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 110,1 von 106,3 am Vortag.
Bereits im Sommer 2021 hatte das RKI Modellrechnungen gemacht, wie der kommende Herbst und Winter aussehen könnte: Für Anfang November haben die Wissenschaftler dabei eine Inzidenz von etwa 120 vorhergesagt, das ist sehr nah an der tatsächlichen Entwicklung der Infektionszahlen.
In dem Modell stieg die Inzidenz aber auch nicht über 130 und flacht ab etwa Januar 2022 wieder langsam ab. Grundannahme ist dabei jedoch, dass die Menschen ihr Verhalten bei höheren Inzidenzen verändern. Geschieht dies nicht, sei bei der angenommenen Impfquote von 75 Prozent der 12- bis 59 Jährigen - die aktuell noch nicht erreicht ist - eine Inzidenz von über 400 möglich. Besonders betroffen seien dann Kinder unter zwölf Jahren.
Was sagen die aktuellen Modellierungen?
Thorsten Lehr ist Professor für klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Er hat den Covid-Simulator entwickelt und versucht, damit das zu erwartende Infektionsgeschehen in Deutschland vorherzusagen. Bei ZDFheute live erklärte er, wie seine Berechnungen für den Herbst und Winter aussehen:
In diesem Jahr sei es aber einfacher, die Infektionszahlen mit kleineren Einschränkungen wieder zu senken.
Aktuell ist der Anstieg der Fallzahlen vergleichbar mit dem Beginn der dritten Welle im vergangenen Herbst. Ohne Einschränkungen würden die Infektionszahlen weit höher steigen als beim Höhepunkt der dritten Welle Ende Dezember 2020. Dies sei allerding sein Worst -Case-Szenario, das vermutlich nicht eintreten werde, so Lehr, da politisch gegengesteuert werde oder sich die Menschen bei sehr hohen Inzidenzen anders verhalten werden.
Durch eine Einschränkung der Kontakte, 2G-Regelungen oder andere Restriktionen könnte das Infektionsgeschehen aber auch sehr schnell wieder kontrollierbar werden. Wichtig sei dabei aber auch, dass weiter geimpft werde.
Die Impfkampagne ist jedoch auf einem Tiefpunkt: Am gestrigen Sonntag ließen sich nach Angaben der Bundesregierung nur 12.615 Menschen impfen - laut RKI-Zahlen so wenig wie nie seit Beginn der Corona-Impfungen in Deutschland am 27. Dezember 2020.
Auf was müssen sich die Krankenhäuser einstellen?
Ein weiterer Faktor bei der Bewertung der Lage der Pandemie ist die Hospitalisierungsrate, also die Auslastung der Kliniken, speziell der Intensivstationen. Auch dazu hat Lehr Modellrechnungen angestellt.
Die Impfung sei ein großer Vorteil im Kampf gegen die vierte Welle. Mit der Delta-Variante habe man es aber auch mit eine sehr viel aggressiveren Virus-Variante zu tun. Die Delta-Variante ist etwa doppelt so ansteckend wie der sogenannte Wildtyp des Virus, der letztes Jahr in Deutschland dominierend war. Auch habe eine Infektion mit der Delta-Variante eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf.
Die Auslastung auf den Intensivstationen könnte also auch über den Höhepunkt der letzten Welle hinausgehen. Ein großer Faktor dabei sei auch, dass mittlerweile mehr jüngere Menschen nach einer Covid-Erkrankung intensiv behandelt werden müssen. Diese hätten zwar eine größere Chance die Erkrankung zu überleben, blieben aber sehr viel Länger auf der Station und binden damit länger die Kapazitäten.
Auch hier sei es aber durch Maßnahmen möglich, die Auslastung auf den Intensivstationen deutlich zu senken. Erschwerend komme aber hinzu, dass die Intensivstationen aktuell schon sehr ausgelastet mit Nicht-Covid-Patienten seien.
Corona-Inzidenz: Große Regionale Unterschiede
Was aktuell noch zu beobachten ist, sind die großen regionalen Unterschiede im Infektionsgeschehen. Thüringen hat eine Inzidenz von 224,3, Sachsen von 196,8 und Bayern von 179,1. In allen drei Ländern ist die Impfquote unterdurchschnittlich.
Im Saarland, dem Flächenland mit der höchsten Impfquote, liegt die Inzidenz dagegen nur bei 53,0.
Maßnahmen bleiben auch in diesem Winter nötig
Dr. Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig fasst die Situation so zusammen:
- Im Vergleich zum letzten Winter haben wir den großen Vorteil, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft ist. Auch Teststrategien und Kontaktverfolgung sind etabliert und funktionieren.
- Gleichzeitig haben die Menschen - geimpft oder ungeimpft - auch wieder deutlich mehr Kontakte. Und der Anteil der Ungeimpften ist durchaus groß genug, um das Gesundheitssystem schwer zu belasten.
Gleichzeitig könnten so die, die noch nicht die Chance hatten, sich impfen zu lassen - wie Kinder unter 12 Jahren - möglichst gut geschützt werden.
Wir werden, so Lange, auch in diesem Winter noch bestimmte Abstandsregeln einhalten müssen, Teststrategien verfolgen und aufpassen. Vor allem haben wir auch in diesem Herbst keine Zeit für lange politische Diskussionen, wenn Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nötig werden, diese sollten möglichst im Vorfeld stattfinden.
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