Die Initiative "Zero Covid" fordert, die Corona-Maßnahmen deutlich zu verschärfen. Kann der europaweite Shutdown über mehrere Wochen funktionieren? Das sagen Experten.
Die aktuelle Strategie sei gescheitert. Deswegen will die Initiative jetzt einen kompletten Shutdown. Mit dem Ziel: 0 Corona-Neuinfektionen.
Die Corona-Infektionszahlen sind ungebrochen hoch, die deutschen Todeszahlen auch im internationalen Vergleich erheblich. Im Gegensatz zu anderen Staaten gelten in Deutschland bislang noch keine bundesweiten Ausgangssperren.
Verglichen mit den Beschränkungen des Privatlebens wurde auch die Wirtschaft bislang vergleichsweise geschont. Pendler fahren weiter ins Büro, die Homeoffice-Quote lag im Herbst unter der des Frühjahrs 2020. Im November arbeiteten 14 Prozent der Arbeitnehmer von zuhause, verglichen mit 27 Prozent im April.
Am Dienstag findet darum ein vorgezogener Gipfel von Bund und Ländern statt, um über weitere, strengere Maßnahmen zu beraten.
Was fordert "Zero Covid"?
Die Initiative "Zero Covid" fordert in einem online verbreiteten Aufruf, für einen Zeitraum von einigen Wochen alle direkten Kontakte auf ein Minimum zu beschränken - "auch am Arbeitsplatz", wie der Aufruf betont.
"Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden."
Die Zahl der Neuinfektionen soll so "auf null reduziert werden". Die "flatten the curve"-Strategie sei gescheitert, so ein Fazit von Christian Zeller, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Salzburg und einer der Organisatoren von "Zero Covid", zu ZDFheute.
Man könne nicht warten, bis der Effekt der Impfungen greife, sagen die Verantwortlichen der Kampagne. Darüber hinaus sollen Impfstoffe nicht zur Gewinnerzielung genutzt werden dürfen und die Kosten der Maßnahmen auch durch eine "Covid-Solidaritätsabgabe" Vermögender finanziert werden.
Mehr als 43.000 Personen haben die deutsche Petition in den vergangenen Tagen unterzeichnet. In den sozialen Medien läuft unter mehreren Hashtags eine Kampagne zu diesen Forderungen.
Epidemiologe: Null Infektionen "realitätsfern"
Erklärtes Ziel der Bundesregierung sind aktuell nicht null Neuinfektionen, sondern der Schwellenwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern über sieben Tage. Ab da könnte die Kontakt-Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter wieder effektiv Infektionsketten brechen.
Bereits das bezeichnete der Epidemiologe und Virologe Klaus Stöhr im ZDF-Interview jedoch als "realitätsfern". Das liege auch daran, dass den Winter über die Ausbreitung von Atemwegserkrankungen ganz natürlich auf einem 10- bis 15-fach höheren Niveau sei.
Deutschland sei ein reiches Land und habe die ökonomischen Möglichkeiten, einen harten Lockdown zu fahren, "aber es müsse dann auch durchhaltbar sein, man muss die Menschen mitnehmen und das sehe ich einfach in der Balance nicht", so Stöhrs Vorbehalte.
Europaweite Koordination schwierig
"Zero Covid" setzt sich auch für eine gemeinsame europäische Koordination der Maßnahmen ein, damit Infektionen nicht wie Ping-Pong-Bälle zwischen den Ländern hin und her springen.
"Wir brauchen eine gemeinsame, koordinierte, europäische Strategie", betont Organisator Zeller gegenüber ZDFheute. "Die Gesellschaften in Europa sind verflochten. Es gibt hohe Mobilität, sie kennen sich, sie reisen. Das heißt, eine nationale oder regionale Perspektive, die Pandemie einzuschränken, ist unmöglich."
Georg Jochum, Professor für Europarecht an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, hält das für schwer umsetzbar:
"Das heißt, wir werden es auf europäischer Ebene ohnehin nicht durchsetzen können und hinbekommen, ohne dass wir erhebliche soziale Verwerfungen bekommen werden", sagte Jochum ZDFheute mit Blick auf die Forderungen von "Zero Covid".
Wellenbrecher-Shutdown kann trotzdem sinnvoll sein
Dass bei aller Detailkritik ein Wellenbrecher-Shutdown sinnvoll sein kann, belegt der Mitte Dezember von zahlreichen Wissenschaftlern unterzeichnete Aufruf "Contain Covid-19". Auch darin wird ein harter Shutdown gefordert. Der Teufel liegt wie so oft im Detail.
Bund und Länder stehen am Dienstag vor einer schweren Aufgabe.
- "Jetzt lieber einmal richtig"
Aus Politik und Wissenschaft mehren sich die Rufe nach einer nochmaligen Verschärfung der Corona-Maßnahmen. Uneinigkeit herrscht aber über die Frage, wie die aussehen könnte.