Die Corona-Pandemie hat ganz Deutschland getroffen. Auch vor Pflegeheimen machte das Virus nicht Halt. Wie erleben Pflegekräfte, Pflegebedürftige und Angehörige den Corona-Alltag?
Die Betreiber von Pflegeheimen stecken in Zeiten der Corona-Pandemie in einem Dilemma: Ihre Bewohnerinnen und Bewohner brauchen besondere Zuwendung, aber auch besonderen Schutz vor Ansteckung mit dem Coronavirus. Im Berliner Hermann-Radtke-Haus sind in den vergangenen Monaten zwölf von 93 Pflegebedürftigen an oder durch Covid-19 verstorben. Dunja Hayali hat das Pflegeheim besucht:
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Heim stand drei Monate unter Quarantäne
Etwas ist hier anders. Das spüre ich gleich, als ich das Hermann-Radtke-Haus in Berlin-Neukölln betrete. Schon oft war ich in ähnlichen Heimen - auch, um meine eigenen Eltern zu besuchen. Was sofort auffällt: Die Flure sind leer, niemand geht einfach so über den Gang, bleibt für ein Schwätzchen stehen oder schaut mal in ein Zimmer hinein.
Seit fast 20 Jahren arbeitet Necla Yilmaz in der Pflege, ihr größter Wunsch: Mehr Zeit und mehr Personal. Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali begleitet sie bei ihrer Arbeit.
Pflegerin Necla Yilmaz zeigt mir Zimmer, die zurzeit leer stehen. Zwölf Pflegebedürftige sind binnen weniger Wochen an Covid-19 gestorben.
erzählt sie mir. Yilmaz hat selbst eine Covid-19-Erkrankung überstanden. Das Schlimmste im Heim sei gewesen, dass Angehörige nicht persönlich Abschied nehmen konnten. Drei Monate lang stand das Heim unter Quarantäne.
"Riesen-Spagat" für die Pflegeleitung
Ich treffe Fachbereichsleiterin Beate Wolff. Sie erlebt die Einsamkeit der Bewohnerinnen und Bewohner hautnah, viele verlieren den Appetit, bauen körperlich und geistig sehr ab. Auch die Angehörigen leiden unter dem eingeschränkten Kontakt. Seit Mitte Juni sind wieder Besuche möglich. Eine Stunde pro Woche - immerhin.
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Wolff ist auch verantwortlich für ihre Pflegekräfte, 17 von ihnen hatten sich angesteckt. Schutz für die Bewohner und Pflegekräfte einerseits und gleichzeitig Alltag und Nähe herstellen - "ein Riesen-Spagat für uns", sagt Beate Wolff.
Ein Luftherz gegen die Einsamkeit
Im ansonsten leeren Gemeinschaftsraum bin ich mit der 90-jährigen Ilse Seifert verabredet. Sie strahlt Gelassenheit aus, sagt aber auch:
Ilse Seiferts Familie war direkt von Corona betroffen: Ihr Schwiegersohn, der ehrenamtlich im Heim half, starb an Covid-19. Seine Tochter, Ilse Seiferts Enkeltochter Ilona Mischok, besucht sie regelmäßig. Sie wünscht sich mehr Solidarität in der Gesellschaft:
Der Weg zurück zur Normalität wird lang und mühsam. Ein bisschen Alltag ist im großen Innenhof des Hermann-Radtke-Hauses aber schon wieder zu spüren. Wo sonst 300 Menschen Platz finden, sitzen jetzt Bewohner vereinzelt an Tischen. Einer spielt Akkordeon.
Nähe, direkter Kontakt, eine Umarmung zwischendurch - all das fehlt zurzeit. Pflegerin Yilmaz, seit zwanzig Jahren im Beruf, leidet darunter genauso wie die Bewohner. Einer Seniorin wirft sie ein "Luftherz" mit den Händen zu - wenigstens aus Distanz eine liebevolle Geste in Corona-Zeiten.
Die Probleme gehen tiefer
Doch nicht alle Probleme in der Pflege liegen an Corona. "Mich ärgert es, dass wir immer so wenig Zeit haben, das ist unser größtes Problem", sagt Yilmaz. Durch Corona seien die grundsätzlichen Probleme noch verschärft worden. "Mehr Zeit, mehr Personal" wünscht sie sich. Ein Wunsch, der über die Corona-Zeit hinaus bleiben wird.
Mehr über meinen Besuch im Pflegeheim erfahren Sie in meiner Sendung am Donnerstag, 16. Juli um 22.15 Uhr im ZDF.