Mediziner wie Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi halten die Corona-Krise für Panikmache. Im Netz erhalten sie viel Zuspruch. Was sind ihre Thesen? Und was sind die Fakten?
In der Corona-Krise melden sich auch Ärzte zu Wort, die den gängigen Einschätzungen von Wissenschaft und Politik widersprechen. Wenig davon ist sinnvoll, vieles verkürzt. Dennoch werden ihre Videos hundertausendfach gesehen und geteilt.
Ein Überblick über die Thesen von sechs Medizinern:
Wolfgang Wodarg
Lungenfacharzt, ehem. Amtsarzt in Flensburg, SPD-Politiker
Thesen: Wodarg hält die “Corona-Panik” für unbegründet und bezweifelt, dass das neuartige Virus gefährlicher ist als die Grippe.
Außerdem gebe es Coronaviren beim Menschen schon lange. Würde man sehr kranke Menschen nach ihrem Tod durch eine Lungenentzündung untersuchen, so würde man immer Coronaviren finden, so Wodarg.
Fakten: Es sind vier Coronaviren bekannt, die beim Menschen vorkommen. "Aber die haben mit dem neuen Coronavirus nichts zu tun", sagte Virologe Christian Drosten in einem NDR-Podcast. "Dazu kommt dann noch, dass der Verlauf mit diesem neuen Coronavirus nicht so harmlos ist wie mit diesen altbekannten, alteingesessenen Coronaviren", sagt Drosten.
Was in Wodargs Argumentation zu kurz kommt, ist die hohe Infektiosität von Sars-CoV-2. Ebenso die Gefahr, die davon ausgeht, dass viele Menschen zum Teil kaum oder gar keine Symptome zeigen, bevor sie das neue Virus weitergeben. Auch sein Vergleich mit der Grippe hinkt: Denn gegen Grippe gibt es bislang Impfungen und Medikamente – gegen das neuartige Coronavirus nicht.
Sucharit Bhakdi
Facharzt für Mikrobiologie, bis 2012 an der Uni Mainz
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Warum Sucharit Bhakdis Zahlen falsch sind
In einem viralen Youtube-Video behauptet der Mediziner Sucharit Bhakdi, das neue Coronavirus sei keine Bedrohung. Seine Thesen sind unwissenschaftlich, seine Zahlen zu niedrig.
Thesen: In mehreren Youtube-Videos und einem offenen Brief an Angela Merkel kritisiert Bhakdi, dass die Annahmen vieler Forschungseinrichtungen zur Gefahr durch das neuartige Coronavirus überzogen seien.
Er verweist auf den wichtigen Unterschied zwischen Infektion und Krankheitsausbruch und unterstellt, dass diese Unterscheidung unterschlagen würde.
Fakten: Das Robert Koch-Institut (RKI) betonte: Der Grund dafür, dass primär die Infektionszahlen erfasst und publiziert werden, ist, dass sie ein schnelles Bild von der Verbreitung des Erregers geben, und auch Infizierte ohne Symptome ansteckend sind.
Bhakdi entwirft ein Worst-Case-Szenario, das lediglich von maximal 3.000 Toten in Deutschland ausgeht und bezeichnet die getroffenen Maßnahmen als "kollektiven Selbstmord". Die meisten Experten gehen jedoch von einem Vielfachen der von Bhakdi angenommenen Infektionszahlen aus, sollten Gegenmaßnahmen ausbleiben.
Matteo Bassetti
Direktor einer auf Infektionskrankheiten spezialisierten Klinik in Genua
Thesen: Auf Youtube kursiert ein Video, in dem der italienische Mediziner sagt, es gebe in Italien keine Toten durch Covid-19. Das Coronavirus sei Quatsch.
Fakten: Das Interview stammt von Ende Februar 2020 und wurde zunächst von der "Genova Post" ins Netz gestellt. Es wurde also zu einem Zeitpunkt geführt, als Italien kaum Tote verzeichnete.
Angesichts der aktuellen Lage in Italien hat sich Bassetti von der Aussage distanziert. Die Situation sei nun eine andere, deshalb sei es schwierig, das Video heute noch zu nutzen, erklärte er in einer Dokumentation des FUNK-Formats Strg_F.
Marc Fiddike
Homöopath aus Hamburg
Thesen: In einem Blog und auf Youtube erklärt Fiddike, dass es keine gesicherten Hinweise darauf gebe, dass es besonders vermehrte oder ungewöhnliche Todesfälle gebe. Zudem würde aus jeder gewöhnlichen Lungenentzündung eine Coronavirus-Lungenentzündung gemacht.
Fakten: In Deutschland gibt es bisher keine ungewöhnlich hohen Todeszahlen. Doch Experten warnen, dass ein Anstieg noch bevorsteht. In Italien ist bereits jetzt zu sehen, dass in kurzer Zeit mehr Menschen gestorben sind als gewöhnlich. Harald Lesch hat das zum Beispiel für Italien und die Stadt Bergamo durchgerechnet:
Ein ehemaliger Lungenarzt behauptet, die internationale Aufregung um SARS-CoV-2 wäre reine Hysterie. Sind die Quarantänemaßnahmen und Ausgangsbeschränkungen übertrieben?
In Tests ist der neuartige Sars-Cov-2-Erreger, der die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst, zudem gut zu diagnostizieren. "Dieser Test reagiert gegen kein anderes Coronavirus des Menschen und gegen kein anderes Erkältungsvirus des Menschen", erklärte Christian Drosten dem NDR.
Claus Köhnlein
Internist aus Kiel
Thesen: Auch Köhnlein meint, dass die Erkrankungen durch Covid-19 im Alltag und in Sterbestatistiken nicht auffallen würden. Die Aufnahmen von Militärlastwagen, die in Bergamo Leichen abtransportieren, nennt er "Fake-Aufnahmen" und "miese Propaganda".
Fakten: Die Behauptung, die Militärtransporter seien ein Fake, ist widerlegt: Es gibt unzählige Aufnahmen von Fotografen, Videos von Privatpersonen, die nachweislich aus Bergamo stammen, und verzweifelte Hilferufe von Bestattern aus der Region.
Bergamo ist vom Corona-Virus besonders betroffen, die Krankenhäuser sind am Limit. Freiwillige aus der Region, vor allem Handwerker, bauen jetzt ein Behelfskrankenhaus mit Intensivbetten - in großer Geschwindigkeit und ohne Bezahlung.
Köhnlein tritt nicht zum ersten Mal mit steilen Thesen in Erscheinung. Von ihm stammt das Buch "Virus-Wahn", erschienen im Tolzin Verlag, einer Informationsquelle für Impfgegner. Darin behauptet er etwa, AIDS würde nicht von einer HIV-Infektion ausgelöst, sondern durch Drogenkonsum oder Stress.
Stefan Hockertz
Immunologe, bis 2004 an der Uni Hamburg
Thesen: Hockertz vergleicht Covid-19 mit der saisonalen Grippe und spielt die Letalität, also den Anteil an tödlichen Erkrankungen, herunter. Diese liege nur bei 0,5 Prozent. Außerdem sei Covid-19 nur für fünf Prozent der Bevölkerung gefährlich, die Gegenmaßnahmen der Regierung seien völlig überzogen.
Die hohen Todesraten in Italien lägen laut Hockertz an Vorerkrankungen durch eine hohe Luftverschmutzung und mangelnde Krankenhaushygiene.
Fakten: Zur Letalität von Covid-19 lässt sich aktuell laut RKI noch keine genau Aussage treffen. Nach ersten Tendenzen liegt sie aber höher als bei der Grippe. Zu den Risikogruppen gehören demnach Menschen ab 50, Menschen mit Vorerkrankungen und Raucher: Alleine letztere sind mit 14,85 Millionen (täglichen) Rauchern weit mehr als fünf Prozent der Bevölkerung.
Mit Blick auf Italien gibt es aber tatsächlich Vermutungen, dass die hohe Luftverschmutzung im Norden des Landes die Verbreitung des Virus begünstigt hat. Auch die Keimbelastung in Krankenhäusern ist in Italien ein Problem, erklärt der Gesundheitsexperte Claus Wendt.
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Warum das Coronavirus Italien so stark trifft
Italien wurde vom Coronavirus in Europa bisher am stärksten getroffen. Ein Blick auf Gesundheitssystem, Wirtschaft und Verwaltung gibt Anhaltspunkte, warum.