Über 2.000 Neuinfektionen pro Tag? Kein Problem, sagt Martin Scherer, Präsident der Gesellschaft deutscher Allgemeinmediziner. Er beklagt die Fixierung auf eine Zahl.
Martin Scherer, Präsident der Gesellschaft deutscher Allgemeinmediziner, wirbt im ZDF-Interview für mehr Vertrauen in die ambulante Gesundheitsversorgung in der Corona-Krise.
ZDFheute: Herr Scherer, worüber ärgern Sie sich am meisten, wenn Sie im Moment Politikern zuhören?
Martin Scherer: Was ich im Augenblick sehr problematisch finde, ist dieses "Katastrophenmedizin-Szenario", das auch von der Politik im Wettlauf um den größten Krisenmanager erzeugt wird. Wenn zum Beispiel ein Markus Söder "die Zügel anziehen" will, von "exponentiellem Wachstum" spricht, da entsteht das Gefühl, wir könnten im Moment kein Vertrauen haben in die ambulante Versorgung, die Politik müsse immerzu per Verordnung eingreifen.
Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die ambulante Versorgung funktioniert sehr gut, und sie hat die Krankenhäuser bisher vor Überlastung bewahrt. Dazu kommt oft der mahnende Zeigefinger, der ins Ausland deutet: Wie schlimm es da ist! Und wenn man sich dazu aber kritisch äußert, läuft man gleich Gefahr, in irgendein Lager einsortiert zu werden.
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ZDFheute: Tatsächlich starren wir alle täglich auf diese eine Kurve: die Zahl der Neuinfektionen. Ein Fehler?
Martin Scherer: Ja. Politik und Medien müssten helfen, diese Zahlen mit Bezugsgrößen einzuordnen und gelassen zu schauen, was machen wir jetzt? Zu einer solchen Gesamtbetrachtung gehören eben auch die gesundheitlichen Folgen, die Schwere der Erkrankungen. Wir sehen im Moment keinen signifikanten Anstieg des Drucks im System, also der Krankenhauszahlen und der Sterblichkeitsfälle, das ist erfreulich. Man muss schauen, ob es einen Nachhall gibt von den augenblicklich steigenden Infektionen, aber bisher sieht es gut aus.
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ZDFheute: Wer bestimmt denn Ihrer Meinung nach im Moment die Kommunikation in der Pandemie?
Martin Scherer: Bisher haben in der Krise diejenigen den Ton angegeben, die am weitesten weg von den Patienten waren. Die virologische Perspektive ist wichtig, aber sie ist eine Labor- und Krankenhausperspektive, die nicht viel mit dem zu tun hat, was die Menschen in der hausärztlichen Versorgung bewegt. Die wollen wissen: Was mache ich mit meinem Schnupfen, mit meinem Halskratzen, kann ich damit noch unter Leute gehen? Darf ich meine Angehörigen im Pflegeheim besuchen? Die Hauptlast der Krise wurde bisher im ambulanten Bereich bewältigt. Und ich habe nicht den Eindruck, dass wir da als Vertreter der Hausärzte, als wissenschaftliche Fachgesellschaft ausreichend gehört wurden.
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ZDFheute: Gerade erst gab es wieder wissenschaftlichen Streit um ein kritisches Papier des "Netzwerks Evidenzbasierte Medizin" - öffentlich ausgetragen mit Christian Drosten via Twitter. Muss das sein?
Martin Scherer: Wir Wissenschaftler müssen aufpassen, dass wir untereinander respektvoll bleiben. Wenn Herr Drosten sich über eine ganze Wissenschaftlergruppe in der Art und Weise äußert, wie er das kürzlich in seinem Podcast getan hat, sich darüber lächerlich macht und die Journalistin leise mitkichert, dann ist das eine Art von Diskurs, der mir große Sorge macht und der auch nicht das Vertrauen in die Wissenschaft fördert. Wir brauchen den interdisziplinären Diskurs und wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig in irgendeine Ecke drängen. Es muss erlaubt sein zu diskutieren.
ZDFheute: Die epidemische Lage von nationalem Ausmaß gilt fort, seit der Bundestag sie am 25. März festgestellt hat. Begründet die Bundesregierung ihre Maßnahmen ausreichend?
Martin Scherer: Es ist weder so, dass die Pandemie vorbei ist, noch handelt es sich um ein Killervirus. Die epidemische Lage ist nach wie vor da, aber es geht jetzt darum, immer wieder zu prüfen und zu begründen, was ist wirklich nötig und was nicht. Stattdessen kommt die Politik den Hausärzten aber mit immer neuen Verordnungen: Ihr müsst jetzt alle Kinder gegen die Grippe impfen, ihr müsst die Reiserückkehrer testen oder in manchen Bundesländern alle Lehrer anlasslos testen. Das ist keine gute Priorisierung, das zieht ärztliche Kapazitäten ab und es fallen die unter den Tisch, die wirklich Versorgung brauchen.
Das Interview führte Christiane Hübscher.
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