Radwege tauchen in Berlin praktisch über Nacht auf. Geplant waren sie schon lange – jetzt wirkt Corona als Beschleuniger. Und die Radstreifen sollen bleiben.
Der neueste Radweg entstand am frühen Mittwochmorgen: 400 Meter an der Frankfurter Allee im Stadtteil Friedrichshain in Berlin. Markiert mit gelber Farbe auf dem Asphalt, gesichert vorerst mit rot-weißen Baustellen-Baken. Eine Sache von wenigen Stunden und kostengünstig dazu. Doch Autofahrer haben jetzt auf einer der wichtigsten Magistralen Berlins eine Fahrspur weniger.
Dem Auto genommen – dem Rad gegeben
Elf Kilometer solcher Pop-up-Radwege - im Behördendeutsch "temporäre Radverkehrsanlagen" - sind in Berlin in den verkehrsschwachen letzten Wochen im Schnellverfahren entstanden, die meisten im grün regierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Manchmal auf Kosten der Parkplätze, anderswo wurde schlicht die Fahrbahn verengt.
Klar ist aber: Den Autos wird Platz genommen, der dem Radverkehr zugeteilt wird. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten.
Ohne die aktuelle Sondersituation hätte die Umverteilung des Verkehrsraums "kaum Aussicht auf öffentliche Akzeptanz". Man erwarte, "dass diese Radwege zurückgebaut werden, sobald der Pkw-Verkehr wieder zunimmt".
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20 bis 30 Kilometer zusätzliche Radwege
Doch in der Senatsverwaltung will man davon nichts wissen. Die Pop-up-Radwege seien allesamt auch tatsächlich geplante Radwege, die dem ADAC bekannt gewesen sind, sagt Ingmar Streese, Staatssekretär für Verkehr, im ZDF-Interview.
Zwar sind sie zunächst nur temporär genehmigt, aber: "Da wir die Planung einfach vorgezogen haben, gehe ich davon aus, dass alle demnächst auch dauerhaft angeordnet werden, wir dann 20 bis 30 Kilometer dauerhafte Radwege in Berlin haben werden."
Vorrang für Fahrräder per Gesetz
Quelle: dpa/Christian Charisius
Spontan ist tatsächlich allein die zügige Realisierung. Vorrang für Fußgänger, Busse und Radfahrer ist schon seit Jahren politisches Ziel des rot-rot-grünen Senats und im Berliner Mobilitätsgesetz von 2017 festgeschrieben. Seitdem wurden vor allem geplant: Radschnellwege, Umbau unfallträchtiger Kreuzungen und eben auch gesicherte breite Fahrradstreifen.
Bis auf ein paar Vorzeigeprojekte war allerdings im Straßenland bisher wenig zu sehen. Mehrfach forderten Aktivisten, die Umsetzung nun endlich anzugehen - was im Windschatten von Corona jetzt offenbar begonnen hat. Wenn auch mit dem Hauptargument, zur Einhaltung der Abstandsregeln schnell mehr Platz für Radfahrer zu schaffen.
Pop-up-Radwege überall?
Staatssekretär Streese ist währenddessen überzeugt, dass sich das Berliner Schnellverfahren auch andernorts anwenden lasse. "Zwar hilft uns das Mobilitätsgesetz, aber wir gründen unsere Pop-up-Radwege ja ebenso auf die Straßenverkehrsordnung, wo explizit auch Möglichkeiten vorgegeben sind, solche Radwege zu errichten." Die gelte auch in anderen Städten. Tatsächlich erlaubt die Straßenverkehrsordnung das Einrichten von "Schutzstreifen für den Radverkehr" per einfacher behördlicher Anordnung.
Aktuell sind in Berlin weitere 10,8 Kilometer Schutzstreifen bereits in Arbeit. Mittlerweile ist auch der ADAC milder geworden, wünscht sich eine "sachliche Auswertung" des Pilotprojekts. Und vom Senat das Bekenntnis, die Radwege wenn nötig wieder zurückzubauen.
Im Verkehr zeigt sich: Busse und Bahnen sind leer. Der Radverkehr ist gerade Krisengewinner. Deshalb die heutige Forderung auf dem Aktionstag der Radler: mehr Pop-up-Radwege.