Die Corona-Pandemie zwingt den internationalen Tourismus in die Knie: Experten befürchten eine historische Pleitewelle, soziale Not und Unruhen in Entwicklungsländern.
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Volle Strände, volle Biergärten, volle Bergrücken: In Deutschland erleben viele Urlaubsregionen derzeit einen Ansturm inländischer Touristen, wie es ihn lange nicht gegeben hat. Auslandsreisen hingegen scheuen in Zeiten der Corona-Pandemie viele Menschen - da sind die Deutschen keine Ausnahme.
Die Urlaubsregionen bereiten sich auf den großen Run in den Sommerferien vor. Am Tegernsee sollen mögliche infizierte Gäste schnell und unkompliziert getestet werden. In der Lübecker Bucht werden Ampeln installiert, die anzeigen, wenn Strände voll sind.
Wenn der Touristenstrom versiegt
Virusgefahr, Reisewarnungen- und -einschränkungen sorgen dafür, dass der internationale Tourismus derzeit in eine historische Krise stürzt. Experten der Welttourismusorganisation UNWTO schätzen, dass das Geschäft in diesem Jahr um 60 bis 80 Prozent einbrechen könnte.
Allein bis Ende April hat die internationale Tourismuswirtschaft laut UNWTO Einbußen von circa 175 Milliarden Euro hinnehmen müssen. Je nach Verlauf der Pandemie drohen weitere horrende Einnahmeausfälle. Die Folge: Rund um den Globus verlieren Millionen Menschen Arbeit und Einkommen.
Für die Türkei gilt eine Reisewarnung der Bundesregierung. Das trifft das Land am Mittelmeer hart, denn der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig.
Tourismus-Experte: Erst muss Corona-Gefahr gebannt werden
Wenig optimistisch blickt auch Wolfgang Strasdas, Leiter des Zentrums für Nachhaltigen Tourismus an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, in die nähere Zukunft der Branche:
Das internationale Geschäft liege derzeit für alle Anbieter darnieder, beobachtet Strasdas. Besonders kritisch sei die Lage in Ländern und Regionen, die sich voll dem Geschäft mit zahlungskräftigen ausländischen Gästen verschrieben und "touristische Monostrukturen" geschaffen haben.
Gefahr hoher finanzieller Einbußen und sozialer Unruhen
"Wer alles auf die Karte Tourismus setzt, muss bei Einbrüchen mit hohen wirtschaftlichen Ausfällen und sozialen Unruhen rechnen", sagt Strasdas. "Das haben wir zum Beispiel in Tunesien nach dem Arabischen Frühling gesehen."
Politische Krisen, Naturkatastrophen, der zunehmende Klimawandel - oder jetzt Corona: Viele Faktoren können das große Geschäft mit Touristen empfindlich stören oder gar zerstören.
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Abhängigkeit vom Massentourismus macht verwundbar
Hochanfällig für solche Krisen sei "das Tourismusmodell Sonne, Strand, Meer und all inclusive, denn es ist enorm abhängig von der Masse - und die gibt es in Zeiten von Reisewarnungen und -beschränkungen nicht", sagt Antje Monshausen, Referentin für Tourismus und Entwicklung bei der Hilfsorganisation Brot für die Welt.
Dramatisch sei die Lage vor allem für jene, die völlig abhängig sind vom Massentourismus:
Unternehmer und Beschäftigte können in Entwicklungsländern kaum auf staatliche Corona-Hilfen oder Arbeitslosengeld hoffen; ebenso wenig auf zahlungskräftige Inlandstouristen. Ihnen drohe eine besonders lange und extrem harte Durststrecke, so Monshausen.
Die Krise als Chance für alternative Tourismusmodelle?
Gleichzeitig sieht sie in der Krise die Chance für ein Umdenken hin zu wirtschaftlich, ökologisch und sozial sinnvolleren Tourismusmodellen - "mit Angeboten, die Kunden dazu animieren, weniger häufig zu reisen, dafür aber länger am Urlaubsort zu bleiben und intensivere Erfahrungen zu sammeln".
Tourismus-Experten haben beobachtet, dass Anbieter von umwelt- und sozial verträglicheren Reisen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gewachsen seien. "Langfristig wird Corona diesen Trend vermutlich verstärken - auch wenn erst mal kurzfristig die Tourismussaison 2020 für alle Reiseanbieter extreme Einbußen bedeutet", sagt Monshausen.