Vor sechs Jahren ist David Bowie gestorben - und heute wäre er 75 Jahre alt geworden. Bis heute genießt Bowie Kult-Status. Woran liegt das?
Es kann weder am kommerziellen Langzeiterfolg noch an kreativer Konstanz liegen, dass David Bowie bis heute wie ein Pop-Heiliger verehrt wird.
David Bowies herausragende Arbeiten stammen fast alle aus den 1970er Jahren, danach kam manch Verwirrendes, Banales und Erfolgloses hinzu - allerdings mit "Blackstar" zum Schluss ein gefeiertes Opus magnum. Bezeichnend auch, dass der Brite für dieses Album von 2016 vier seiner fünf US-Grammys erhielt - als er schon nicht mehr lebte.
David Bowie hat sich immer wieder neu erfunden
Sein Erfolg ist wohl auf seinen visionären Mut, sich als charismatische Kunstfigur, von Major Tom bis zum todkranken "Blackstar"-Reisenden, immer wieder neu zu erfinden. Und an seiner Ausstrahlung und seinen Bühnenoutfits. Nicht zuletzt auf seine stilistische Bandbreite von Pop bis Jazz, Electro bis Folk, Soul bis Avantgarde.
"Seine Neugier, sein Ehrgeiz waren schon multimedial, als das im Pop noch nicht der Standard war", meint der legendäre Musik-Buchautor Tobias Rüther.
Zahllose Hits unter Bowie-Songs
Zudem sei der begnadete Sänger und Performer auch ein Komponist mit einzigartiger Handschrift gewesen, betont er. "Seine großen Hits altern nicht, weil sie von Anfang an nie nach den anderen Songs im Radio geklungen haben, die dort gleichzeitig liefen."
Schon die anfängliche Hit-Qualität spricht für sich - vom Durchbruch mit dem Weltraumdrama-Song "Space Oddity" um den tragischen Major Tom (1969) über Glamrock-Ohrwürmer wie "Changes" oder "Rebel Rebel" bis zum weißen Soul von "Young Americans" (1975).
Bowie hat die Popstar-Figur erneuert
"Er hat auf seine Weise die Popstar-Figur neu definiert - nämlich viel stärker als Künstler", meint Udo Dahmen, Direktor der renommierten Popakademie Baden-Württemberg.
Für den Musikprofessor wird Bowie "als eine wichtige Figur der populären Kultur die Zeit überdauern. Er hat den Rahmen gesprengt, vergleichbar mit den Beatles der 'Sgt.-Pepper'-Phase."
Die Nazi-Symbolik und die Groupies
Dass die frühen und mittleren 70er Jahre auch charakterliche Defizite des Stars - etwa öffentliches Kokettieren mit Nazi-Symbolik und die exzessive Ausnutzung junger "Groupies" - offenbarten, wird in neueren Buchveröffentlichungen über Bowie durchaus kritisch beleuchtet.
"Ich würde das der Hybris nach frühen großen Erfolgen zuschreiben", sagt Dahmen. "Aber auch seinem Drogenproblem in dieser Zeit, so dass er die private Person nicht mehr von der öffentlichen abgrenzen konnte - was ihm später sehr gut gelungen ist."
Bowies Erfolg kam erst in den Nullerjahren zurück
Auf die zeitweise suchtgeprägten, zugleich extrem kreativen 70er folgten Jahre, in denen Bowie mit dem lässigen Hitalbum "Let's Dance" (1983) zum Weltstar wurde, aber auch zum aufgeblasenen Stadionrocker. Später sagte er selbst einmal:
Konsequent irritierend, teils ziellos waren daher die von Stilexperimenten geprägten, weitgehend erfolglosen 90er Jahre. Erst in den 2000er Jahren kehrte er mit der opulenten Box "Brilliant Adventure" zum Erfolg zurück.
Mit dem vermeintlich ersten großen Alterswerk "Blackstar" (2016) setzte der unheilbar krebskranke Bowie einen womöglich bewusst als Abschied inszenierten, rätselhaften Schlusspunkt. Sein Tod - zwei Tage nach der Albumveröffentlichung - schockte die Musikwelt wie zuvor wohl nur bei Elvis Presley, John Lennon und Michael Jackson.
Nun erschien einen Tag vor seinem 75. Geburtstag letztlich "Toy:Box"mit Liedern, die Bowie eigentlich 2001 - nach einer Phase des gelegentlich ziellosen Experimentierens und kommerzieller Erfolglosigkeit - herausbringen wollte. Nach dem Triumph beim Glastonbury-Festival 2000 spielte er mit einer fantastischen Rockband neue Interpretationen von Songs ein, die er ursprünglich zwischen 1964 und 1971 geschrieben hatte. Nach einem Streit mit seiner Plattenfirma legte er das "Toy"-Projekt in den Tresor, es schien verloren.
Nun also kommt offiziell ein Werk auf den Markt, das Bowie abermals als grandiosen Sänger präsentiert, aber eben auch beim ungewohnten Blick in den Rückspiegel. Für den Bowie-Experten André Boße, Musikkritiker beim Vinyl-Fachmagazin "Mint", markiert "Toy" sogar "den Moment, in dem Bowie sich entscheidet, seine Identitätssuche nicht länger auf die Zukunft auszurichten, sondern auf das, was gewesen ist".