Antidepressiva - Fluch oder Segen?

    FAQ

    Mit Tabletten gegen Depression:Antidepressiva - Fluch oder Segen?

    von Nina Kuhn
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    Antidepressiva werden milliardenfach verschrieben - Tendenz steigend. Ob das immer sinnvoll ist, ist umstritten. Wann der Einsatz von Medikamenten helfen kann.

    Tabletten
    Wie wirksam sind Antidepressiva?15.05.2023 | 5:14 min
    Depressionen sind eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln erheblich beeinflussen, häufig mit weitreichenden Auswirkungen auf den Alltag. Betroffene fühlen sich antriebs- und freudlos, sind niedergeschlagen bis hin zu einer tiefen Traurigkeit oder erleben eine Art Gedankenkarussell, aus dem sie nicht herausfinden.
    Eine Depression kann jeden treffen. Frauen erhalten die Diagnose etwa doppelt so häufig wie Männer. Was genau dabei im Gehirn passiert, ist nicht abschließend geklärt.
    magnetimpulse-depression
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    Was sind Antidepressiva?

    Helfen sollen Antidepressiva. Sie gehören zur Gruppe der Psychopharmaka. Sie wirken auf Nervenbotenstoffe und beeinflussen die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn. Es gibt etwa 30 Wirkstoffe, die in verschiedene Gruppen unterteilt werden.
    Die meisten Antidepressiva erhöhen den Nervenbotenstoff Serotonin im Gehirn, im so genannten Synaptischen Spalt, dem Zwischenraum zwischen den Nervenzellen.

    Tabletten werden in Blister verpackt. Archivbild
    Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa

    Zu den am häufigsten verwendeten Antidepressiva gehören:
    • trizyklische Antidepressiva (TZA)
    • selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
    • selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)

    Trizyklische Antidepressiva sind am längsten auf dem Markt. Sie werden als Antidepressiva der ersten Generation bezeichnet.
    SSRI und SSNRI gehören zu den Antidepressiva der zweiten Generation. Daneben stehen Wirkstoffe zur Verfügung, die weniger häufig verschrieben werden sowie Medikamente wie Trazodon und Lithium, die keiner Gruppe zugeordnet werden.

    Quelle: Gesundheitsinformation, IQWiG

    Wann und wie häufig werden sie eingesetzt?

    Antidepressiva sollen Menschen mit einer Depression helfen, aus dieser wieder herauszukommen. Zudem sollen sie Rückfälle in eine depressive Episode verhindern, indem das seelische Gleichgewicht langfristig wiederhergestellt wird. Ziel sollte sein, dass Betroffene wieder am Arbeits- und Sozialleben teilnehmen können.
    "Nach meiner Einschätzung werden Antidepressiva zu häufig, zu schnell, zu lange verordnet", kritisiert Tom Bschor, Mitautor der Nationalen VersorgungsLeitlinie Depression.

    Ich sehe Patienten, die ein Antidepressivum nehmen und es geht ihnen die ganze Zeit schlecht, also offensichtlich hilft es ihnen nicht.

    Prof. Tom Bschor, Mitautor der Nationalen VersorgungsLeitlinie Depression

    Antidepressiva würden immer häufiger verschrieben, so der Experte. "Seit 1995 haben sich die Zahlen versechsfacht, auf 1,6 Milliarden Tagesdosierungen pro Jahr", erklärt Bschor. "Und das ist nur das, was auf Kassenrezept verordnet wurde."
    Prof. Gerhard Gründer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
    Prof. Dr. Gerhard Gründer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, teilt seine kritische Einschätzung zu der häufigen Verordnung von Antidepressiva. 15.05.2023 | 7:51 min

    Wie gut helfen Antidepressiva?

    Laut Leitlinie sollten Antidepressiva ausschließlich Patienten mit mittelschweren oder schweren Depressionen vorbehalten sein. In diesem Fall in Kombination mit psychotherapeutischer Begleitung. Bei schweren Depressionen ist das besonders wichtig, da hier das Suizidrisiko am höchsten ist.

    Bei leichten Depressionen haben wir festgestellt, dass Antidepressiva nicht wirklich gut wirken.

    Tom Bschor, Mitautor der Nationalen VersorgungsLeitlinie Depression

    Hier sollte eher mit entlastenden Maßnahmen gearbeitet werden, z. B. durch Beratung und professionell angeleitete Selbsthilfe.
    Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie weist darauf hin, dass Antidepressiva nicht bei allen Betroffenen wirken, sondern nur bei etwa der Hälfte. "Das ist ungünstig, da die Antidepressiva auch nur verzögert wirken. Man muss sie drei bis vier Wochen einnehmen, bis man eine Chance auf die Wirkung hat. Die Nebenwirkungen kommen schneller."



    Welche Nebenwirkungen gibt es?

    Antidepressiva können zahlreiche Nebenwirkungen haben, über die Betroffene vor der Einnahme unbedingt aufgeklärt werden sollten. Sie treten meist in den ersten Wochen der Behandlung auf. Je nach Medikament gehören dazu:
    • Gewichtszunahme
    • Übelkeit
    • Verdauungsprobleme
    • sexuelle Beschwerden
    • Abgeschlagenheit
    Arzt und Patient müssen gemeinsam abwägen, inwieweit die Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen sind oder ob das Medikament gewechselt werden sollte. Auch beim Absetzen des Medikaments können vorübergehend Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Übelkeit oder Unruhe auftreten.
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    Machen Antidepressiva abhängig?

    Antidepressiva machen nicht anhängig im Sinne von "süchtig". Es besteht also keine Gefahr, dass man nicht mehr davon loskommt. Bessert sich die Depression, sollte das Medikament nicht abrupt abgesetzt, sondern unter ärztlicher Begleitung nach und nach reduziert werden.
    Sind die Symptome ganz verschwunden, ist es hilfreich, das Antidepressivum noch eine Zeit lang weiter zu nehmen, da dadurch die Rückfallgefahr gesenkt werden kann.




    Welche Rolle spielt der Arzt?

    Wichtig ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Betroffenem und Arzt. "Für Hilfe gibt es verschiedene Anlaufstellen", sagt Bschor.

    Die Depression ist eine Volkskrankheit, deshalb sind Hausärzte die richtige Anlaufstelle, da darf man auch mit seelischem Kummer hingehen und nicht nur mit körperlichen Problemen.

    Tom Bschor, Mitautor der Nationalen VersorgungsLeitlinie Depression

    Der Hausarzt kann zunächst beraten und mit Basismaßnahmen helfen. Geht es um die Einnahme von Antidepressiva, sollte der Arzt den Nutzen, Wirkung und mögliche Nebenwirkungen mit dem Betroffenen besprechen, sodass dieser mitentscheiden kann, ob die Behandlung am besten zu den persönlichen Bedürfnissen passt.

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