Kunstfreiheit und Kampf gegen Antisemitismus sind eigentlich kein Gegensatz. Doch bei einer Kunstausstellung kam es zu einem Antisemitismus-Vorfall. Was ist bei der documenta los?
Das als antisemitisch empfundene Kunstwerk des Kollektivs Taring Padi auf der documenta in Kassel ist abgebaut. Doch wer übernimmt die Verantwortung?
Die documenta in Kassel will ein Fest der Weltkunst sein. Hier soll sich alle fünf Jahre die internationale Avantgarde treffen und innovative Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst aufzeigen. Dafür muss sich die documenta jedes Mal neu erfinden. Hat sie sich diesmal verhoben?
Die aktuellen Vorwürfe, antisemitische Kunst zu zeigen, haben jedenfalls eine andere Dimension als die Kontroversen früherer Jahre. Die Hintergründe:
Wie ist die documenta organisiert?
Träger der alle fünf Jahre stattfindenden Kunstausstellung:
- eine gemeinnützige Gesellschaft
- die documenta
- die Museum Fridericianum gGmbH
Gesellschafter und Geldgeber dieser gGmbH sind die Stadt Kassel und das Land Hessen. Der Bund ist formal nicht beteiligt, ist über die Kulturstiftung des Bundes aber als Finanzgeber mit im Boot. Künftig will der Bund aber mehr Einfluss.
Die Ebene darunter bilden die Geschäftsführung und die künstlerische Leitung. Die jeweiligen künstlerischen Leitungen werden alle fünf Jahre von einer Findungskommission bestimmt. Für die 15. documenta fiel die Wahl auf ein Künstlerkollektiv aus Indonesien: Ruangrupa.
Wieso haben die Kuratoren so viel Macht?
Der documenta-Kenner Harald Kimpel nennt es "das Tafelsilber der documenta: der Nicht-Einfluss der Politik auf die Kunst". Die strikte Trennung zwischen denen, die das Geld geben, und denen, die die künstlerische Freiheit haben, es auszugeben, ist für Kimpel der Kern der documenta. Das betont auch Generaldirektorin Schormann: Für die documenta "ist die künstlerische Freiheit konstitutiv", sagte sie der "Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen".
Wie reagieren die Verantwortlichen?
Spätestens seit dem Skandal um das Wimmelbild von Taring Padi, im dem Kritiker antisemitische Karikaturen erkannten, fragen sich viele, wieso niemand die ausgestellten Werke vorher begutachtet hat. Schließlich gab es den Verdacht auf israelfeindliche Tendenzen schon lange vor der Eröffnung.
Die Organisatoren der Ausstellung documenta lassen nach Antisemitismus-Vorwürfen die Installation eines indonesischen Künstlerkollektivs entfernen.
Der langjährige Vorsitzende des documenta-Forums, Jörg Sperling, lehnte solche Forderungen kategorisch ab: "Das wäre Zensur", sagte er der dpa. Sperling legte am Donnerstag sein Amt nieder, nachdem sich andere Mitglieder des Vereins von seinen Aussagen distanziert hatten. Sperling hält die Debatte um das Kunstwerk für überzogen: "Eine freie Welt muss das ertragen."
Das kuratierende Kollektiv Ruangrupa bat dagegen am Donnerstag um Entschuldigung: "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken", schrieb es in einer Stellungnahme. "Es ist unser Fehler."
Wird der Antisemitismus-Vorfall der documenta schaden?
Die aktuelle Antisemitismus-Debatte wird der documenta nicht schaden, glaubt der Vorsitzende des documenta-Forums. Skandale hätten von Beginn an zu dieser Ausstellung gehört: "Die documenta bietet als Weltkunstschau alle fünf Jahre einen neuen Blick auf Kunst und Kultur", sagt Sperling. Dass dieses Neue manchmal auf Widerstand stoße, gehöre zum Konzept.
Kimpel ist sich nicht so sicher. Die bisherigen "Skandale" waren aus seiner Sicht eher "Provokationen", bei denen sich Einzelne über Einzelaspekte aufgeregt haben. Diesmal habe der Skandal "eine andere Qualität": Die Debatte habe die Kunst verlassen und sich in die Politik verschoben. Dass die Geschichte der documenta damit zu Ende ist, glaubt auch Kimpel nicht.