Vor zwei Jahren knackten Ermittler die Software von verschlüsselten Handy-Chats. Ermittler sprechen von einer "Goldgrube" im Kampf gegen Organisierte Kriminalität.
Pseudonyme, Codewörter für die Übergabe, Fotos von Drogen oder Waffen - bei ihrer Kommunikation mit verschlüsselten Krypto-Handys wähnten sich Kriminelle in Sicherheit. Vor rund zwei Jahren jedoch gelang es europäischen Ermittlern, die Daten des Anbieters Encrochat zu knacken.
Seitdem ringen Polizei und Justiz bundesweit mit einer Datenflut: Allein in Berlin geht es laut Staatsanwaltschaft um rund 1,6 Millionen Chatnachrichten und knapp 750 Nutzer. "Mit etwa 15 Prozent stammen überproportional viele Encrochat-User aus Berlin", sagt Oberstaatsanwalt Thorsten Cloidt, Leiter einer Abteilung für Organisierte Kriminalität.
Verfahren um Schmuggel von tonnenweise Kokain
In 40 Fällen hat die Berliner Staatsanwaltschaft bislang Anklage erhoben, etliche davon werden inzwischen beim Landgericht verhandelt. Mehr als 100 weitere Verfahren mit mindestens einem identifizierten Verdächtigen stehen nach Behördenangaben an, in weiteren neun Fällen müsse noch der Täter ermittelt werden.
Auch in Hamburg gehören solche Prozesse inzwischen zum Alltag, in zwei Verfahren geht es etwa um den Schmuggel von mehreren Tonnen Kokain.
Einen Bezug zur Clankriminalität gebe es weniger, Rocker seien häufiger betroffen. Meist gehe es um Drogenhandel. Auffällig sei die hohe Taktung der Taten, weniger die Mengen des Rauschgifts.
Staatsanwalt: "Das System war für Kriminelle gedacht"
"Die Leute waren sich offensichtlich sicher, dass die Daten nicht entschlüsselt werden können", so Cloidt. "Das System war für Kriminelle gedacht", sagt sein Kollege Reiner Pützhoven. Der Oberstaatsanwalt leitet die Schwerpunktabteilung, die zu Jahresbeginn bei der Berliner Staatsanwaltschaft eingerichtet wurde, um der Datenflut Herr zu werden.
Zuvor hatte die Polizei in den Niederlanden und Frankreich im Frühjahr 2020 die Software der Firma Encrochat geknackt und einige Monate lang insgesamt mehr als 20 Millionen geheime Chat-Nachrichten abgeschöpft. Zwischenzeitlich hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass diese in Deutschland verwertet werden dürfen, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht.
Die Daten seien eine "wahre Goldgrube" als Ansatz für diverse Ermittlungsverfahren, sagt der Berliner Landessprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Benjamin Jendro. "Wir hatten selten zuvor mit einer derart offenen Kommunikation von kleinen und großen Fischen aus der Organisierten Kriminalität zu tun, so dass eine geöffnete Ermittlung schnell zu einem Stich ins Wespennest wird und wir Probleme bekommen, alles auch in der gegebenen Zeit zu beackern."
Datenmenge ist zugleich Segen und Fluch
Ermittler und Justiz sind sich einig: Wegen der vielen Verfahren und der großen Datenmengen ist die Entwicklung Segen und Fluch zugleich. Denn die Ermittlungen müssen zügig geführt werden, weil die Verdächtigen in Untersuchungshaft sitzen, was zeitlich nur begrenzt möglich ist. Bundesweit haben Polizei und Justiz reagiert und spezielle Abteilungen eingerichtet sowie Personal aufgestockt. In Hamburg etwa wurden nach Angaben des Deutschen Richterbundes befristet 28 neue Stellen für Richterinnen, Staatsanwälte und Servicepersonal geschaffen. "Kryptohandys werden uns die nächsten Jahre beschäftigen", ist Cloidt überzeugt.
Die nächsten kniffeligen Verfahren rollen bereits auf die Ermittler zu: Im Frühjahr hatte es erste Berichte gegeben, dass die EU-Polizeibehörde Europol Ende 2020 die Verschlüsselung des Kommunikationssystems Sky ECC geknackt und viele Millionen Chat-Nachrichten von Nutzern aus der ganzen Welt gesichert habe. Der Datenbestand soll bis zu viermal so groß sein wie der bei Encrochat.