Der mutmaßliche Lübcke-Mörder soll einen 27-jährigen Iraker bei einer Messerattacke schwer verletzt haben. Ahmed I. spricht erstmals über das, was er erlebt hat.
Es ist der 6. Januar 2016, als Ahmed I. von seiner Flüchtlingsunterkunft gegen 21:30 Uhr unterwegs zu einer Tankstelle ist. Er will Zigaretten kaufen. Er hört mit Kopfhörern Musik, hat eine Kapuze auf, als er niedergestochen wird und zu Boden fällt. "Als ich hochsah, war da ein Mann auf einem Fahrrad. Ich habe ihn angeschrien, aber ich weiß nicht mehr was. Er fuhr einfach weiter."
An diesem Donnerstag soll der Iraker im Prozess gegen Stephan Ernst aussagen, den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Denn die Bundesanwaltschaft beschuldigt Ernst auch für die Messerattacke gegen Ahmed I. verantwortlich zu sein.
Ahmed I. erleidet schwere Verletzungen durch den Angriff
Der 27-jährige Iraker hatte bisher öffentlich zu dem Fall geschwiegen. Mit dem ZDF-Magazin "Frontal 21" und "Zeit Online" sprach er nun erstmals über die Folgen des Attentats.
In der Tatnacht wird Ahmad I. blutüberströmt ins Krankenhaus gebracht. Dort stellen die Ärzte fest, dass der Täter Nerven und Rückenmark schwer verletzt hatte. "Mir wurde dann ein Betäubungsmittel gegeben und ich bin eingeschlafen", erzählt Ahmed I.
Walter Lübcke und sein Mörder - die Doku von Frontal 21
Ermittlungen im Fall Ahmed I. zunächst ohne Erfolg
Als er am kommenden Tag aufstehen wollte, habe er gemerkt, dass er seine Beine nicht mehr bewegen könne. "Die waren zwar noch an mir, aber ich hatte gar kein Gefühl mehr." Die Ermittler suchen nach dem Messerstecher zunächst im Umfeld des Flüchtlingsheims, ohne Ergebnis. Hinweise auf einen rechtsradikalen Täter gehen die Behörden nicht konsequent nach. Die Ermittlungen verlaufen im Sand.
Drei Jahre später, am 2. Juni 2019, wird Walter Lübcke erschossen. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gesteht, den Regierungspräsidenten von Kassel getötet zu haben, weil der sich für eine Flüchtlingsunterkunft in Lohfelden bei Kassel eingesetzt hatte. Es ist das Flüchtlingsheim, in dem auch Ahmed I. wohnte.
Die Polizei nimmt die Ermittlungen wieder auf. Überwachungsbilder zeigen den Täter auf dem Fahrrad. Der Anwalt von Ahmed I., Alexander Hoffmann, ist überzeugt, dass Ernst der Täter war. "Der Tatort liegt auf seinem Weg zur Arbeit. Er fährt immer mit dem Fahrrad. Und das Messer, das bei ihm gefunden worden ist, mit Blut-Anhaftungen, die in mehreren sehr signifikanten Merkmalen mit der DNA von meinem Mandanten, von Ahmed übereinstimmen, ist natürlich auch ein sehr starker Beweis."
Der wegen Beihilfe zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Angeklagte Markus H. kommt überraschend frei. Das Gericht sieht keinen dringenden Tatverdacht mehr.
Hass auf Flüchtlinge als Motiv von mutmaßlichem Lübcke-Morder Ernst
Stephan Ernst hat die Tat vor Gericht bestritten und sich geweigert, Fragen des Anwalts von Ahmed I. zu beantworten. Doch der Prozess hat gezeigt, dass Ernst voller Hass war auf Flüchtlinge und Menschen, die sich für sie einsetzen. Das jedenfalls sei das Motiv gewesen, Walter Lübcke zu erschießen.
Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, für die Messerattacke auf Ahmed I. habe es ähnliche Gründe gegeben. Ernst habe mit dem Angriff "Angst unter hier Schutz suchenden Menschen" verbreiten wollen, argumentieren die Ankläger. Ahmed I. leidet bis heute unter den Folgen des Messerangriffs.
Jetzt hofft der Iraker auf Gerechtigkeit durch den Prozess in Frankfurt am Main: "Ich erwarte, dass alles ans Licht kommt."
Mehr zu diesem Thema am 27. Oktober 2020 um 21 Uhr bei Frontal 21 im ZDF.