Die EU will ihre Abhängigkeit von Gas und Öl aus Russland beenden und im "Eiltempo" auf erneuerbare Energien umstellen. Für "grünen" Wasserstoff bedeutet das den Durchbruch.
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Abhängig zu sein tut immer weh. Die Europäische Union ist sich ihrer Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland spätestens mit Beginn von Putins Angriffskrieg in der Ukraine schmerzlich bewusst geworden.
Etwa 45 Prozent ihrer Gasimporte bezieht die EU aus Russland, zudem 45 Prozent der Kohle- und 25 Prozent der Öleinfuhren.
EU-Politikwende für schnellere Energiewende
Diese Schwäche will die EU nun schnellstmöglich überwinden und teilt mit: "Nach der Invasion in die Ukraine sprechen mehr starke und klare Argumente denn je für eine schnelle, saubere Energiewende."
Bereits "deutlich vor 2030" will die EU ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland minimieren. "Wir müssen im Eiltempo auf erneuerbare Energien umstellen", sagte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans in dieser Woche.
Als ein zentrales Element für Europas Energiesicherheit und ein klimaneutrales Wirtschaftssystem betrachten Politik und Wirtschaft "grünen" Wasserstoff, der aus erneuerbarer Sonnen-, Wind- oder Wasserenergie mittels Elektrolyse gewonnen wird.
Weg vom Öl - aber wohin? Seit 30 Jahren gilt Wasserstoff als Hoffnungsträger der Mobilitätswende.
Branchenexperte: "Kräftiger Schub" für Wasserstofftechnologie
Jorgo Chatzimarkakis, Vorsitzender von "Hydrogen Europe", dem führenden Verband der europäischen Wasserstofftechnologiebranche, berichtet im Gespräch mit ZDFheute von einem "kräftigen Schub" seitens der EU, "jetzt schneller und stärker auf grünen Wasserstoff zu setzen".
In der Vergangenheit habe es noch viele Bedenken gegeben: "Jetzt sind die Dämme gebrochen", beobachtet Chatzimarkakis.
20 Millionen Tonnen Wasserstoff ab 2030
Demnach priorisiere die EU-Kommission Wasserstoffprojekte inzwischen besonders und habe Arbeitsteams deutlich aufgestockt. Ziel sei es, die Wasserstoff-Produktion 2024 in "großem Umfang" zu beginnen.
Konkret bedeute das die "gewaltige Menge" von 20 Millionen Tonnen grünem Wasserstoff.
DIW-Forscherin: Schneller Aufbau von Infrastuktur nötig
Um das zu erreichen, fallen für den Aufbau der EU-Wasserstofftechnologie-Infrastruktur Kosten von geschätzt bis zu 80 Milliarden Euro an. Die Mittel dafür sollen unter anderem durch das Bepreisen von Kohlendioxid zusammenkommen.
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sieht in der "jetzigen Krise eine Chance" für den schnellen Aufbau der benötigten Infrastruktur. "Dringend notwendig" sei es zudem, internationale Partnerschaften für den Wasserstoffimport zu forcieren.
Hohe Erdgaspreise relativieren Kosten für Wasserstoff
Aktuell seien die Erdgaspreise so hoch, dass der Import von grünem Wasserstoff kaum teurer wäre, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
- Europa: Erdgaspreis steigt um 60 Prozent
Der Preis für Erdgas in Europa schnellt um 60 Prozent in die Höhe. Der Preisanstieg ist eine Folge des Krieges in der Ukraine und der Wirtschaftssanktionen gegen Russland.
Tatsächlich bemüht sich die EU verstärkt um Partnerschaften - und auch Deutschland als größter Mitgliedstaat ist aktiv.
Deutschland eröffnet "Wasserstoffbüros" in Botschaften
So eröffnet die Bundesrepublik in ihren Botschaften "Wasserstoffbüros". In Australien, Chile, Namibia, Saudi-Arabien und der Ukraine sei dies bereits geschehen.
"Mithilfe der Wasserstoffbüros bekommt die Regierung einen Überblick, wer kann wann wieviel liefern", sagt Branchenexperte Chatzimarkakis. Im nächsten Schritt sollen dann die Verträge geschlossen werden.
Prognose: Deutschland größter Wasserstoff-Markt
Auch für Länder wie Marokko und Spanien prophezeit Chatzimarkakis "blühende Wasserstofflandschaften".
Deutschland sieht er künftig als "mit Abstand allergrößten europäischen Markt" für Wasserstoff an, "weil wir in so vielen Gebieten den Wasserstoff anwenden können - etwa in der Chemie, Petrochemie, Düngemittel- und Stahlproduktion".
Thomas G. Becker diskutiert mit seinen Gästen Prof. Claudia Kemfert, Wirtschaftswissenschaftlerin DIW und Andreas Jung, CDU, klimaschutz- und energiepolitischer Sprecher Bundestagsfraktion.
Forscher empfiehlt Politik kurzfristige Maßnahmen
Bis es so weit ist mit dem großflächigen Einsatz in der Industrie, gäbe es kurzfristig aber auch noch andere Möglichkeiten, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, merkt Wissenschaftler Quaschning an:
Das Elektroauto und die elektrische Wärmepumpe in Häusern könnten den Verbrauch von Erdöl und Erdgas sofort deutlich reduzieren und damit die Kosten für Energieimporte senken.